Aktuell sehen 45,7 Prozent der Unternehmen in Deutschland ihre Geschäftstätigkeit durch fehlendes Fachpersonal behindert. Das zeigt das aktuelle KfW-ifo-Fachkräftebarometer. Die wirtschaftliche Abschwächung und die eingetrübten Konjunkturerwartungen haben die Arbeitskräftenachfrage und die Fachkräfteknappheit gegenüber dem 3. Quartal zwar leicht abgeschwächt. Aber gegenüber dem Vorjahr hat sich der Fachkräftemangel 2022 trotz der Ukraine-Krise noch einmal verstärkt.
Im Herbst 2022 fehlt es in allen Wirtschaftszweigen weiter an fachlich qualifizierten Mitarbeitenden. Spitzenreiter bleibt der Dienstleistungssektor, in dem jedes zweite Unternehmen über fehlendes Fachpersonal klagt (48,2 Prozent), gefolgt vom Verarbeitende Gewerbe (42,1 Prozent), vom Handel (37,6 Prozent) und vom Bau (37 Prozent).
Die deutsche Wirtschaft befindet sich am Rande einer Rezession. Dennoch stellen zahlreiche Unternehmen weiter ein. Im November waren 823.000 offene Stellen gemeldet, erheblich mehr als vor Beginn der Corona-Krise. Setzt sich die wirtschaftliche Erholung ab dem Frühjahr fort, wird die Arbeitskräftenachfrage wieder stärker steigen. Im Durchschnitt dauert es 5 Monate, bis eine offene Stelle besetzt werden kann. Diese so genannte Vakanzzeit ist 2022 steil anangestiegen, 2021 lag sie noch bei 4 Monaten, 2010 bei 2 Monaten.
Die Arbeitslosen in Deutschland können nur begrenzt dazu beitragen, die offenen Stellen zu besetzen. Die Hälfte von ihnen ist nur als Helfer qualifiziert und bräuchte für 80 Prozent der offen Stellen erst eine Berufsausbildung. 1,3 Millionen arbeitslosen Hilfskräften stehen nur 184.000 offene Hilfskraftstellen gegenüber.
Die Zahl der gesamtwirtschaftlich geleisteten Arbeitsstunden ist im Jahr 2022 zwar wieder gestiegen. Sie ist aber niedriger als vor der Corona-Krise, weil die Erwerbstätigen pro Kopf weniger Stunden arbeiten. Die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen stagnierte in den letzten 5 Jahren fast. Hält dies an, während die Erwerbstätigenzahl demografisch bedingt abnimmt, könnte bereits in 3 bis 4 Jahren eine Phase dauerhaft schrumpfenden Bruttoinlandsprodukts eintreten. Dies wäre von der Wirkung her etwa so, als befände sich Deutschland in einer andauernden Rezession.
„Bei einem Zuwanderungssaldo von Null würde die Zahl der Einwohner im Erwerbsalter von 20 bis 66 bis 2040 um 9,3 Millionen Personen oder 18 Prozent sinken, so Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. Ohne zügiges und ausreichendes Gegensteuern werde die Fachkräfteknappheit daher weiter zunehmen. Der demografische Wandel reiche derart weit, dass an mehreren Hebeln gleichzeitig angesetzt werden müsse, um den Wohlstand zu sichern und die Herausforderungen zu bewältigen, allen voran die Transformation zur grünen und digitalen Wirtschaft.
Vor allem geht es nach Ansicht der KfW um eine Steigerung der Erwerbsbeteiligung aller derjenigen, die schon in Deutschland sind, nämlich von Frauen, älteren Beschäftigten, geringfügig Beschäftigten und Arbeitslosen. Dazu kommt die Notwendigkeit einer gezielten Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Auch eine höhere Arbeitsproduktivität kann den Fachkräftebedarf dort, wo Fachkräfte fehlen, verringern.