Wie gelingt der mühsame Weg zur Kreislaufwirtschaft?

5 Okt

Stoffkreisläufe zu schließen, zahlt sich für die Unternehmen in vielfacher Weise aus. Das ist weithin akzeptiert, und doch kommt die Transformation nur schleppend voran. Der Weg ist lang und mit abschreckenden Hemmnissen gepflastert, sagt Andreas Gerber. Als Berater, Coach und Trainer weiß der Lean und Six-Sigma-Experte: Die Ausgangsbasis ist bei jedem Unternehmen anders, deshalb gibt es auch keine Standardlösungen. An der Entwicklung einer individuellen Vision und Strategie führt kein Weg vorbei. Für deren Umsetzung müssen Strukturen und Prozesse grundlegend verändert werden, um am Ende mit neu konzipierten Produkten auf der Basis von Sekundärrohstoffen auf dem Markt erfolgreich zu sein. Kooperation mit Lieferanten und Kunden, so Gerber, ist auf diesem Weg äußerst hilfreich.

qm-aktuell.de: Herr Gerber, wie hoch schätzen Sie den Anteil der deutschen Unternehmen, die sich über das Abfallrecycling hinaus um Kreislaufwirtschaft bemühen?

Andreas Gerber: Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da die Kreislaufwirtschaft höchst komplex ist. Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, die Ressourcen effizienter zu nutzen, die Lebensdauer von Produkten zu verlängern, Stoff- und Energieströme zu schließen und dadurch die Erzeugung von Abfällen und Emissionen zu minimieren. Am Beispiel eines simplen Produkts, dem Coffee-To-Go-Pappbecher, möchte ich kurz die Linearwirtschaft im Gegensatz zur Kreislaufwirtschaft erläutern.

In der Linearwirtschaft wird das Produkt aus Primärrohstoffen hergestellt (TAKE), verwendet (MAKE) und am Ende des einmaligen Gebrauchs sofort weggeworfen (WASTE).

In der Kreislaufwirtschaft werden die Primärrohstoffe geschont, d. h. der Rohstoffverbrauch wird gesenkt (REDUCE), der Becher, der aus recycelten Rohstoffen hergestellt wurde, wird so oft wie möglich genutzt (RE-USE) und am Ende wiederverwertet; evtl. zu einem anderen Produkt (RECYCLE).

Die Kreislaufwirtschaft senkt die Menge neu benötigter Rohstoffe und des Mülls. Trotz dieser Bemühungen sinkt der Anteil der wiederverwerteten Rohstoffe von Jahr zu Jahr, wie der Global Circularity Gap Report 2023 gerade gezeigt hat. Dieser prognostiziert nur noch 7,2 Prozent – damit gehen weltweit mehr als 90 Prozent der Rohstoffe verloren. Die Kreislaufwirtschaft wächst langsamer als der lineare Verbrauch. Auch deutsche Unternehmen bemühen sich, Stoffkreisläufe zu schließen, aber es ist schwer abzuschätzen, welchen Anteil sie daran haben. Das liegt an fehlenden Kennzahlen, unterschiedlichen Kreislaufsystemen, den global vernetzten Strukturen, der Produktart und an welcher Stelle das Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft steht. Damit meine ich, ob es eher am Anfang oder am Ende der Wertschöpfungskette steht. Exakte Zahlen oder verlässliche Schätzungen fehlen. Viele Unternehmen sind, aus unterschiedlichen Motiven sehr engagiert, um Energie und Rohstoffe einzusparen, u. a. wegen der gesetzlichen Vorgaben und Kosten.  Jedenfalls ist es ein langer Weg, die Wirtschaft von der linearen zur Kreislaufwirtschaft zu transformieren.

qm-aktuell.de: Auch der EU-Rechnungshof hat jüngst ein deprimierendes Fazit der EU-Bemühungen gezogen: Wo klemmt es da eigentlich? Was sind die wichtigsten Barrieren?

Andreas Gerber: Barrieren gibt es einige, aufgeteilt in Input-/Output-bezogene sowie regulatorische Hemmnisse.

Zu den Input-Faktoren zählt die mangelnde Verfügbarkeit von Sekundärrohstoffen. Ihre Menge ist begrenzt, sie sind oft nicht in der erforderlichen Qualität erhältlich und in der Regel etwas teurer. Bei einer Umstellung auf recycelte Rohstoffe, müssen die Unternehmen neue Qualitätstests durchführen. Dies ist eine weitere Hemmschwelle für die Umstellung. Manche Produkte sind so komplex, dass sie nur schwer auf Recyclingrohstoffe umgestellt werden können, ich denke da z. B. an Multilayer-Produkte in der Elektro- oder Kunststoffindustrie.

Zu den Output-Faktoren: Aus meiner Sicht mangelt es noch an der Nachfrage der Kunden nach Recyclingprodukten, obwohl diese qualitativ hochwertig sind. Manche Produkte aus Sekundärrohstoffen entsprechen nicht ganz den Vorstellungen der Verbraucher. Recyclingprodukte sind immer noch Exoten auf dem Markt, da fehlt es sicherlich an Aufklärung.

Der letzte Punkt – die regulatorischen Hemmnisse: Da wäre eine Harmonisierung der vielfältigen Vorschriften notwendig, in denen es durchaus Widersprüchliches gibt. Die EU-Staaten müssten sich darin besser abstimmen. Schließlich fehlt es auch an der Durchsetzung von Bestimmungen. Viele Normierungen sind erst an der Entstehung und daher noch nicht rechtsverbindlich.

qm-aktuell.de: Wenn Regulierungen und Normierungen nicht helfen, bleibt nur das Eigeninteresse des Unternehmens. Wie bringt man den Unternehmen das nahe?

Andreas Gerber: Letztlich hilft nur die Einsicht der Unternehmensleitung, in die Vorteile geschlossener Kreisläufe zu investieren. Die Reduzierung von Abfallmengen und Entsorgungskosten, die Verbesserung der Ressourceneffizienz, also weniger Ausschuss und Materialeinsatz, die Erhöhung der Wiederverwendungsraten und die Senkung der Energiekosten – das sind alles Punkte, um das Interesse im Unternehmen zu wecken bzw. zu steigern und damit die Kreislaufwirtschaft zum Erfolg zu führen. Für die Veränderungsprozesse gibt es Methoden wie KVP, Lean und Six Sigma, die sich sehr gut für die Transformation der Kreislaufwirtschaft eignen. Die Methoden eignen sich, die Energieeffizienz zu verbessern, den Ausschuss zu verringern und Primärrohstoffe in Sekundärrohstoffe umzuwandeln. Dadurch wird der Verbrauch von Primärrohstoffen reduziert. Hinzu kommt eine weitere Motivation: Für Unternehmen ist es eine Imageverbesserung, indem sie sich mit der Kreislaufwirtschaft als umweltbewusstes Unternehmen präsentieren. Das honoriert der Kunde mit dem Kauf von Produkten.

qm-aktuell.de: Alle diese Sachverhalte sind äußerst komplex und viele, vor allem kleinere Unternehmen verfügen intern kaum über das nötige Know-how. Können Standards dabei helfen?

Andreas Gerber: Die Kreislaufwirtschaft ist in der Tat eine Herausforderung – vor allem für KMU. Normen und Standards zeigen Wege und Verfahrensweisen auf. Bei der ISO gibt es inzwischen die ISO 59000er Reihe, die zur Unterstützung der Kreislaufwirtschaft entwickelt wurde. Aus meiner Sicht gibt es in dieser Reihe vier wichtige Normen:

  • Die 59004 definiert die Grundbegriffe, legt Grundsätze der Kreislaufwirtschaft fest und gibt in groben Zügen eine Anleitung für die Umsetzung.
  • Dann haben wir die ISO 59010, die zeigt, wie die Wertschöpfungskette von einem linearen zu einem zirkulären Modell umgebaut werden kann.
  • Die ISO 59014 stellt die Qualität, Sicherheit und Umweltverträglichkeit von Sekundärrohstoffe fest.
  • Schließlich definiert die ISO 59020 Methoden zur Messung und Bewertung der Kreislauffähigkeit. Sie beschreibt Indikatoren, Kennzahlen und Quantifizierungen der Zirkularität sowie Verbesserungspotenzial.

Das sind alles sehr wichtige Themen zur Kreislauftransformation.

Die ISO 14000, insbesondere die ISO 14001 – der Standard für Umweltmanagementsysteme – ist für den Umbau zu geschlossenen Stoffkreisläufen eine wichtige Unterstützung. Unter anderem legt er die Zertifizierung der Unternehmen hinsichtlich der Kreislaufwirtschaft fest. In der ISO 14001 ist der Prozess der Kontinuierlichen Verbesserung (KVP) beschrieben, ein Qualitätswerkzeug, mit dessen Hilfe entwickelt werden kann, wie die Unternehmen von einem aktuellen nicht kreislauffähigen Prozess zu einem kreislauffähigen Prozess kommen. Kern dieser Methode ist der kontinuierlich wiederholte PDCA-Zyklus, benannt nach den vier Phasen „Plan, Do, Check, Act“ – diese Vorgehensweise hilft Unternehmen, sich dem Thema Kreislaufwirtschaft immer weiter anzunähern.

qm-aktuell.de: Wo muss ein Unternehmen ansetzen, das mit dem Kreislaufgedanken ernst machen will? Der Appell, den ich häufig gelesen habe: Man muss bei Produktdesign und -entwicklung anfangen. Sehen Sie das auch so?

Andreas Gerber: Nein, das sehe ich nicht so. Die Transformation muss im kompletten Unternehmen vollzogen werden und kann in unterschiedlichen Bereichen gestartet werden. Die Ausgangsbasis ist jedoch von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich – abhängig von der Organisationsform, Unternehmensstruktur, Art, Größe, Branche, Produktart und Vielfalt. Bevor ein Unternehmen in die Kreislaufwirtschaft einsteigt, sehe ich vier Hauptpunkte, an denen ein Unternehmen ansetzen muss, das sind: Management, Infrastruktur, Produktion und Mitarbeitende.

Erstens, das Management muss eine klare Vision haben, was das Ziel der Kreislaufwirtschaft sein soll. Produkte, Prozesse, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle – die Vision sollte den gewünschten Zustand in der Zukunft beschreiben. Die Strategie sollte darlegen, in welchen Bereichen und wie das Unternehmen die Kreislaufwirtschaft umsetzen möchte: Geht es nur um Teilbereiche des Unternehmens oder handelt es sich um eine komplette Umgestaltung?

Zum Thema Infrastruktur. Bevor mit dem Umbau, also der Transformation zur Kreislaufwirtschaft begonnen wird, muss im Unternehmen eine komplette Kreislaufanalyse durchgeführt werden. Die Unternehmensleitung muss sich vergegenwärtigen, wo das Unternehmen momentan steht: Wie sind die Produkte beschaffen, welche Chancen und Risiken sind erkennbar, welche Ressourcenflüsse gibt es, wie verläuft die Wertschöpfungskette, welche Materialien werden zugekauft und welche selbst hergestellt? Wie sieht es mit der Energieeffizienz aus…

qm-aktuell.de: Da sind wir immer noch nicht bei der Produktentwicklung oder Produktion!

Andreas Gerber: Nein, wir sind noch bei der Infrastruktur! Energieeffizienz ist ein wichtiger Punkt: Wann schalte ich die Maschine ein und aus – das ist bei manchen Unternehmen immer noch schwierig, die Maschinen laufen einfach durch ohne eine Wertschöpfung. Die Abfallvermeidung in der Produktion ist ein einfacher Punkt, den sie schnell analysieren und abhaken können z. B. mit einer Lean-Initiative. Mülltrennung ist ein weiterer Punkt. Generell sollte das Unternehmen ihre Wertschöpfungskette analysieren.

Dann das Thema Digitalisierung: Die Geschäftsführung muss wissen, welche Daten im Unternehmen zur Verfügung stehen, z. B. Rohstoffdaten: welche Rohstoffe werden in welchem Produkt eingesetzt? Können diese ersetzt werden durch Sekundärrohstoffe? IOT, BigData und KI sind Grundvoraussetzungen für die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft und liefern sehr wertvolle Informationen.

Der vierte Punkt wäre das Personal: Hier muss bei Training, Bildung und Kommunikation angesetzt werden, um im Unternehmen ein klares Verständnis für die Kreislaufwirtschaft herzustellen. Die gesamte Belegschaft muss in den Transformationsprozess einbezogen werden, um das Verständnis und die Akzeptanz zu erhalten. Trainingsprogramme tragen dazu bei, das Bewusstsein für die Vorteile der Kreislaufwirtschaft zu schärfen und das Engagement des Personals zu fördern. Die Kommunikation muss klar und präzise für den Erfolg eines Unternehmens sein. Inhalt, Vision, Strategie, Ziele, Feedback, Maßnahmen etc. Sie fördern dadurch den Aufbau einer starken Unternehmenskultur zwischen Lieferanten, Kunden, Partnern, Personal.

Erst wenn diese vier Punkte gesetzt sind, würde ich an die eigentliche Produktdesign-Thematik herangehen. Es ist für viele Unternehmen eine große Herausforderung, bestehende Produkte und Prozesse durch den Einsatz von Sekundärrohstoffen zu ersetzen.

qm-aktuell.de: Sie haben deutlich gemacht, wie komplex die Aufgabe ist. Wenn ich an kleine und mittlere Unternehmen denke, wie bekommen die das hin? Welche Hilfe und Unterstützung gibt es?

Andreas Gerber: Für kleinere Mittelstandsunternehmen ist die Umsetzung schwieriger und fehlendes Know-how spielt dabei sicherlich eine Rolle. Aber es gibt einige Möglichkeiten, Unterstützung zu erhalten. Die Bundesregierung hat eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) erarbeitet, in der unter anderem bestehende rohstoffpolitische Strategien gebündelt werden. Sie fördert vor allem anwendungsorientierte Verbundprojekte, in denen Forschungseinrichtungen mit Unternehmen zusammenarbeiten. Auch bei den Ländern lohnte es sich nachzufragen. Über die KfW werden auch Projekte einzelner Unternehmen finanziell unterstützt. Meine Empfehlung wäre, mit Lieferanten oder auch den Kunden Kooperationen einzugehen; die Zusammenarbeit bündelt Ressourcen und bringt Synergien hervor. Berater heranzuziehen, halte ich für sehr sinnvoll. Jeder Profisportler lässt sich von Spezialisten beraten und coachen, um seine Ziele zu erreichen, warum nicht auch der Manager? Da die Transformation in Richtung einer Kreislaufwirtschaft eine sehr komplexe Aufgabe ist, wäre es unklug, auf externen Sachverstand zu verzichten. Berater können nicht nur bei der Entwicklung der Gesamtstrategie helfen. Sie bringen im Idealfall eine Menge Fachwissen ein, wie man z. B. Abfall vermeiden und Ressourcen effizienter nutzen kann, sie haben Expertise in Sachen Fördermittelakquise und über ihre Netzwerke wissen sie auch, wo das Unternehmen zu speziellen Themen Rat und Hilfe finden kann.