Ein Lieferkettengesetz kommt – aber welches?

11 Mrz

Die werbewirksamen Whitepapers sind schon auf dem Markt: „Lieferkettengesetz jetzt rechtssicher umsetzen“ oder so ähnlich. Was noch fehlt, ist das dazugehörige Gesetz. Niemand kann heute genau  sagen, was ein im Spannungsfeld zwischen dem Vorhaben der Bundesregierung und den weitergehenden Vorstellungen der EU-Institutionen ausgebrütetes Gesetz den Unternehmen auferlegen wird.

Zwar hat die Bundesregierung einen Gesetzestext beschlossen. In den parlamentarischen Beratungsgang eingegeben ist er noch nicht. Falls es bis zur Bundestagswahl noch auf den Weg gebracht wird, darf man gespannt sein, was Parlamentsausschüsse und Bundesrat daraus machen. Noch nie hat ein Gesetz den Bundestag so verlassen, wie es hineingegeben wurde. Da es starke Kräfte gibt, die an einem Lieferkettengesetz nicht interessiert sind, kann dieses Gesetzesvorhaben im Pandemie- und Wahlkampfstress sogar noch ganz unter die Räder kommt. Eine politisch anders gefärbte Bundesregierung würde dann wohl einen etwas anderen Gesetzentwurf vorlegen.

Die EU-Abgeordneten haben derweil ebenfalls ein Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht, das strenger ausfallen könnte als in Deutschland, heißt es heute in den Medien. Richtig ist: Die Wünsche einer Mehrheit der EU-Parlamentarier für europäische Lieferketten-Verpflichtungen gehen weit über die der deutschen Bundesregierung hinaus.

Sie wollen mehr Unternehmen einbeziehen, auch kleine und mittlere, die an der Börse notiert oder in Risikosektoren tätig sind. Alle sollen ihre Zulieferer prüfen, nicht erst Unternehmen ab 3000 und später ab 1000 Mitarbeitern. Grundsätzlich alle Stufen der Lieferketten sollen sie prüfen und nicht jenseits direkter Lieferbeziehungen nur tätig werden, wenn sie einen „Anlass“ dafür haben. Sie wollen klarere Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung. Geschädigte sollen nicht nur vor den Gerichten der EU-Staaten klagen, sondern frei wählen können, welches Recht dabei angewandt wird: das Recht des Drittstaats, das Recht des Landes, in dem das Unternehmen sitzt, oder sogar das Recht des Landes, in dem es tätig ist. Auch eine eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflicht steht auf der Wunschliste.

Mehr als eine Wunschliste ist es nämlich nicht – ein Bericht des EU-Parlament, keineswegs ein „Gesetzentwurf“. Den wird jetzt die EU-Kommission formulieren, und was darin nach den Bemühungen der mächtigen Brüsseler Lobby-Verbände von den Wünschen der Abgeordneten übrigbleibt, wird sich zeigen. Erst recht wird spannend, was nach erneuter Beratung im Parlament und Erörterung im Rat der Umweltminister und der Justizminister der EU-Länder übrigbleibt.

Das alles kann Jahre dauern. Als Endprodukt haben wir dann eine Lieferketten-Richtlinie, kein unmittelbar geltendes europäisches Recht. Die Grundsätze wird Deutschland mit einem gewissen Interpretationsspielraum innerhalb einer Frist in ein bis dahin wohl verabschiedetes deutsches Lieferkettengesetz übernehmen. Oder auch nicht – nicht zum ersten Mal könnte eine Bundesregierung eine Vertragsverletzungsklage riskieren, weil ihr EU-Recht nicht in den Kram passt.

Lange Rede kurzer Sinn: Niemand kann derzeit genau wissen, was wann auf welche Unternehmen bei diesem Thema zukommt. Also sich am besten noch gar nicht damit befassen? Das wäre ein Fehler. Sicher ist, dass die Zeit der Sorg- und Verantwortungslosigkeit in den globalen Geschäftsbeziehungen zu Ende geht. Jedes Unternehmen ist gut beraten, sich aus eigener Verantwortung darum zu kümmern, wo es in den eigenen Lieferketten zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung kommen kann, und etwas dagegen zu tun. An entsprechenden CSR-Leitfäden und -Risikochecks fehlt es nicht. Wer so handelt, den wird kein Lieferkettengesetz dieser Welt in Bedrängnis bringen.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entschließung fes Europäischen Parlaments