Größere Unternehmen sollen künftig bei Umwelt- und Menschenrechtsverstößen ihrer Lieferanten stärker in die Pflicht genommen werden. Ein Richtlinienentwurf der EU-Kommission für ein EU-weites Lieferkettengesetz geht teilweise deutlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Die Reaktionen fielen gemischt aus.
Die geplante Regelung betrifft Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, in risikobehafteten Branchen soll sie bereits ab 250 Arbeitskräften angewendet werden können. Unternehmen müssen weit mehr als im deutschen Recht auch für ihre indirekten Lieferanten geradestehen. Vorgesehen ist auch eine zivilrechtliche Haftungsregelung, mit der von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden Betroffene gegen die verursachenden Unternehmen klagen können.
Erwartungsgemäß kommt die schärfste Kritik aus Teilen der Wirtschaft. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie fordert, dass sich die EU-Regelung auf direkte Vertragspartner von Unternehmen beschränkt. Der Mittelstandsverbund ZGV sprach von einem drohenden Bürokratiemonster für mittelständische Unternehmen. „Der Entwurf droht Unternehmen zu überfordern“, warnte der BDI. Der Anwendungsbereich über die gesamte Wertschöpfungskette – auch auf nachgelagerten Stufen – sei realitätsfern und überhaupt sei es falsch, die Aufgabe des Schutzes von Menschenrechten und Umwelt so sehr auf die Unternehmen abzuwälzen.
Verpflichtende rechtliche Anforderungen müssen sich auf die direkten Zulieferer beschränken, um in der Praxis umsetzbar zu sein. Das Verhalten unabhängiger Dritter dürfe nicht zu zivilrechtlicher Haftung von Unternehmen führen, sie könnten nur für eigene Aktivitäten in der Lieferkette haftbar sein, nicht für die ihrer Geschäftspartner oder deren Lieferanten. Die geplanten Vorschriften. so der BDI, stellen besonders mittelständische Unternehmen, die wegen begrenzter Ressourcen und geringerer Marktmacht wenig Einfluss auf die Lieferketten hätten, vor massive Herausforderungen.
Das Bündnis „Initiative Lieferkettengesetz“ kritisiert, es handele sich nicht um einen großen Wurf. Zwar schließe er einige Lücken des deutschen Gesetzes und nehme Unternehmen entlang ihrer gesamten Lieferkette in die Verantwortung. Auch die vorgesehene zivilrechtliche Haftung mache Hoffnung. An einigen Punkten aber habe die EU-Kommission der Wirtschaftslobby nachgegeben: Eine Recherche von CORRECTIV und SWR hatte aufgedeckt, dass gerade deutsche Wirtschaftsverbände seit Monaten in Brüssel gegen ein weit reichendes Lieferkettengesetz Sturm liefen.
Kritisch sei vor allem die Begrenzung der Sorgfaltspflichten auf „etablierte Geschäftsbeziehungen“ – niemand sollte diese Pflichten durch Wechsel von Geschäftspartnern umgehen können. Die EU müsse die heißen Eisen konsequenter anfassen: Sorgfaltspflichten nicht nur für ein Prozent der Unternehmen, klare klimabezogene Pflichten in der Lieferkette und eine Haftungsregelung ohne Schlupflöcher, die Gerechtigkeit für von Menschenrechtsverletzungen Betroffene schafft.
Der TÜV-Verband begrüßte den Entwurf und forderte ein schnelles Gesetzgebungsverfahren. „Es besteht nun die historische Chance, in ganz Europa und für alle Unternehmen klare Spielregeln für die Einhaltung menschenrechtlicher und ökologischer Sorgfaltspflichten zu schaffen“, sagte Geschäftsführer Joachim Bühler. Die Mehrheit der deutschen Unternehmen unterstütze ein EU-Lieferkettengesetz im Sinne einheitlicher Wettbewerbsbedingungen. Sorgfaltspflichten dürften nicht länger ein Wettbewerbsnachteil sein.
Laut einer aktuellen Studie des TÜV-Verbands befürworten 56 Prozent der Unternehmen in Deutschland ab 25 Mitarbeiter:innen ein Lieferkettengesetz. Nur 29 Prozent lehnen es ab und 15 Prozent sind unentschlossen. Vorteile einer gesetzlichen Regelung sind aus Sicht der 500 befragten Unternehmen die Entwicklung allgemeingültiger Standards für Sorgfaltspflichten (83 Prozent), einheitliche Wettbewerbsbedingungen (73 Prozent) und mehr Rechtssicherheit (73 Prozent).
Für eine erfolgreiche Umsetzung des Lieferkettengesetzes braucht es neben klaren Vorgaben auch wirksame Kontrollmechanismen. Bühler: „Zertifizierungen und Audits vor Ort durch unabhängige Dritte sind wichtige Instrumente, um Vertrauen in die einzelnen Glieder der Lieferkette zu schaffen. Insbesondere in Risikosektoren sollten Kontrollen von unabhängigen Prüforganisationen gesetzlich verankert werden. Zu den Risikosektoren zählen beispielsweise die Textilindustrie oder die Gewinnung bestimmter Rohstoffe wie Kobalt oder Coltan. Auch die Tätigkeit in Konfliktregionen könnte eine Voraussetzung für Drittprüfungen sein.“