Nachhaltigkeitsziele werden integrale Bestandteile des Qualitätsmanagements

14 Feb

Ob aus Überzeugung oder unter dem Druck der Regulierung: Das Thema Nachhaltigkeit ist, wie  aktuelle Umfragen zeigen, längst auf ganzer Linie in der Unternehmenswelt angekommen. Großunternehmen haben es schon seit Jahren durch umfangreiche integrierte Managementsysteme im Griff, viele kleinere kämpfen noch mit der Frage, was der unaufwändigste und kostengünstigste Weg ist, die drängenden Anforderungen zu erfüllen.

Doch wie viel Nachhaltigkeit steckt bereits in der ISO 9001? Wie können Nachhaltigkeitsthemen und bereits vorhandene Instrumente, Werkzeuge und Regularien für die ständige Verbesserung des Managements genutzt werden? Hierüber hat QM-aktuell.de mit der langjährigen Unternehmensberaterin, Auditorin, Herausgeberin und Autorin Claudia Brückner gesprochen.

qm-aktuell.de: Nachhaltigkeit steht im Fokus einer ganzen Reihe von Standards – wieso ist hier das QMS gefordert? Warum sollte ein QMS um diese Themen erweitert werden?

Claudia Brückner: Nachhaltigkeit wird von den Stakeholdern und auch von anderen Unternehmen immer stärker gefordert, so dass sich die Bemühungen der Unternehmen immer stärker darauf konzentrieren. Da ist es ein guter Ansatz, von Qualität und Nachhaltigkeit gemeinsam zu sprechen. Es sind zwei Konzepte, die eng miteinander verknüpft sind und viele Berührungspunkte haben. Wenn ein Unternehmen ein gut eingeführtes QMS hat, dann kann das erheblich dazu beitragen, Ressourcen wie Energie oder Rohstoffe effizienter zu nutzen – wenn man jetzt an Energie- oder Umweltmanagement denkt. Und wenn das Unternehmen neue Produkte in den Markt einführen will, hilft das QMS, sie innovativ so zu entwickeln, dass sie den Nachhaltigkeitszielen entsprechen. Für mich hängen diese beiden Konzepte eng zusammen. Viele der für den Weg zu mehr Nachhaltigkeit geforderten Vorgehensweisen sind bereits in den etablierten Managementsystemen nach ISO 9001 enthalten.

qm-aktuell.de: Was macht ein auf Nachhaltigkeit orientiertes QMS aus? Können Sie das in wenigen Stichworten erläutern?

Claudia Brückner: Alles kann ich sicher nicht auflisten, denn da gibt es sehr viele Aspekte. Aber ich kann einige Beispiele geben. Das Thema Führung etwa: Keine Führungskraft kommt heute noch daran vorbei, konkrete Verantwortung für entsprechende Ziele, Umsetzungsmaßnahmen und Ergebnisse zu übernehmen. Wenn ich an die strategischen Ziele denke, dann stecken darin nicht nur QM-, sondern auch Nachhaltigkeitsziele, für die sich die Unternehmensleitungen einsetzen. Die obersten Führungskräfte verankern dadurch auch das Thema Nachhaltigkeit im gesamten Unternehmen, was sich in den Strategiezielen und in den Werten widerspiegeln sollte, die im Unternehmen gesetzt werden. Wenn ich an den Abschnitt „Kontext der Organisation“ als wichtiges Element der ISO 9001 denke, sind darin neben den ganzen internen und externen Themen wesentliche Elemente der Nachhaltigkeit angesprochen. Hier hat das Unternehmen Aussagen über direkte und indirekte Faktoren zu treffen, auf die die Organisation Einfluss nimmt oder aber, die ihrerseits Einfluss auf die Organisation nehmen. Wenn ich die Anforderungen und Erwartungen von Stakeholdern prüfe, muss ich auch schauen: Wer fordert etwas von mir, was die Nachhaltigkeit betrifft? Die Bewertung von Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken darf in keiner Risikoanalyse fehlen und muss Bestandteil jedes internen Kontroll- und Überwachungssystems sein. Das sind nur wenige Beispiele, die in der Verantwortung der obersten Leitung liegen.

qm-aktuell.de: Es gibt aber auch Stimmen, die davor warnen, das QMS mit immer weiteren Themen zu überfrachten. Was entgegen sie diesen Kritikern?

Claudia Brückner: Ich denke nicht, dass es sich um ein Überfrachten handelt, wenn die für das jeweilige Unternehmen wichtigen Nachhaltigkeitsziele in das QMS integriert werden. Von der ISO 9001 sind ohnehin viele Anforderungen in Richtung Nachhaltigkeit vorgegeben, die lediglich nach einer gewissen Systematik ergänzt werden müssen. Auch von anderen Systemstandards wie ISO 14001 oder 50001 gehen diese Anforderungen aus. Sie sind auch ökonomisch im Interesse des Unternehmenserfolges, weil dadurch vielfach auch die Kosten reduziert und die Produktqualität gesteigert werden. Nicht zuletzt kann nachhaltiges Handeln die Kundenzufriedenheit steigern. Das ist aber heute, die ganz kleinen Unternehmen vielleicht ausgenommen, bereits mehr eine Frage des Müssens als des Wollens. Unternehmen sind zunehmend gesetzlichen Regulierungen unterworfen, die Nachhaltigkeit fordern, wenn Sie an CSRD denken – Corporate Sustainability Reporting Directive. Diese EU-Richtlinie nimmt heute schon Unternehmen, die eine Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro oder einen Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro aufweisen, in die Pflicht, Nachhaltigkeitsberichte zu veröffentlichen – und diese Bestimmungen werden weiter verschärft. Durch Compliance wird das Unternehmen zunehmend in die Pflicht genommen, Nachhaltigkeitsstandards einzuhalten. Risiken müssen betrachtet werden, die auch die Nachhaltigkeit betreffen, und das können auch Risiken sein, die sich negativ auf den Unternehmenserfolg auswirken. Von daher sehe ich es nicht als Überfrachtung, sondern als eine wachsende Notwendigkeit. Die Fülle der Gesetze, die unterschiedlichste Nachhaltigkeitsanforderungen an die Unternehmen stellen und eingehalten werden müssen, nimmt ständig zu, denken Sie etwa an das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz.

qm-aktuell.de: Wie muss sich denn das QMS verändern, um dem komplexen Anliegen der Nachhaltigkeit gerecht zu werden? Kann man QM als Schnittstelle begreifen oder sollte ein Nachhaltigkeitsmanagement extra angesiedelt werden?

Claudia Brückner: Beide Gestaltungen sind möglich. Natürlich kann man ein eigenständiges Nachhaltigkeitsmanagement implementieren. Wenn das Unternehmen die Nachhaltigkeit als eigenständiges Konzept ansieht, kann dieses als Schnittstelle zu einem QMS betrachtet werden, d. h. das QMS als Instrument bietet Hilfestellung und Unterstützung zur Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen. Der Gedanke der Nachhaltigkeit verbindet drei Säulen: wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ökologische Verantwortung und soziale Gerechtigkeit. Indem ein Unternehmen nach ISO 9001 arbeitet, deckt es zunächst die Ökonomie ab. Wenn es dazu ISO 14001 beispielsweise oder ISO 50001 implementiert hat, deckt es die Ökologie ab, und wenn noch der Arbeitssicherheitsstandard ISO 45001 hinzukommt, ist auch das Soziale abgedeckt. Unternehmen, die alle diese Aspekte in einem Integrierten Managementsystem vereint haben, tun sich mit der Nachhaltigkeit leichter. Immer mehr gehen diesen Weg, und vor allem den großen Unternehmen bleibt angesichts der wachsenden externen Anforderungen auch nichts anderes übrig – denken Sie beispielsweise an die Automobilindustrie.

qm-aktuell.de: Unternehmen, die ein QMS nach ISO 9001betreiben bietet sich demnach der zweite Weg an?

Claudia Brückner: Wo bereits ein funktionierendes QMS betrieben wird, ist es tatsächlich eine näherliegende und weniger aufwändige Möglichkeit, die in der ISO 90001 bereits enthaltenen Ansätze für Nachhaltigkeit systematisch auszubauen. Wenn Nachhaltigkeit als ein integraler Bestandteil des QMS angesehen wird, müssen die einzelnen Elemente des Managementsystems lediglich um die Nachhaltigkeitsaspekte erweitert werden. Damit unterliegen dann auch die Nachhaltigkeitsziele dem Prinzip der Kontinuierlichen Verbesserung. Um sich mit dem Konzept Qualität und Nachhaltigkeit grundlegend beschäftigen zu können, ist es Grundvoraussetzung, dass dieses vom obersten Management getragen werden muss. Es liegt in der Verantwortung der obersten Leitung, die Idee in den Köpfen der Mitarbeiter und Führungskräften zu verbreiten und zu verankern. Das erfordert zum Beispiel eingehende Schulung, was auch Geld kostet. Dann müssen die Prozesse und die gesamte Struktur des Unternehmens angepasst werden. Alle wichtigen Elemente der ISO 9001, die jedem geläufig sind wie etwa Audit und Managementbewertung, müssen um die für das Unternehmen relevanten Nachhaltigkeitsthemen erweitert werden. Aus dem Standard ergeben sich auch die Schritte, die erforderlich sind. Um nur die wichtigsten übergeordneten Schritte anzusprechen: 1. Den Kontext der Organisation analysieren und erweitern, 2. die Anforderungen und Erwartungen der interessierten Parteien hinterfragen und ergänzen, 3. Strategie und Unternehmensziele um Nachhaltigkeitsanforderungen erweitern, 4. die QM-Dokumentation entsprechend anpassen, 5. das Kennzahlensystem erweitern, 6. das Schulungskonzept im Unternehmen erweitern, 7. das Auditwesen anpassen, 8. die Managementbewertung anpassen – also das ganze Berichtswesen. Das sind im Prinzip alles Dinge, die direkt aus der Norm hervorgehen und den Qualitätsmanagern hinreichend vertraut sind.

qm-aktuell.de: Inhalte und Art dieser Erweiterungen und Anpassungen sind von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Diese bei der Komplexität des Themas festzulegen, ist keine triviale Aufgabe. Wo gibt es dafür Hilfestellung?

Claudia Brückner: Aus der Fülle der Nachhaltigkeitskriterien muss jedes Unternehmen auswählen, was auf seine Situation zutrifft. Es gibt zahlreise Leitfäden und Hilfestellungen, die es nutzen kann, um die Nachhaltigkeitsaspekte im QMS systematisch auszubauen. Ich kann hier in der Kürze nur Beispiele nennen. Ein sehr gut verwendbarer Leitfaden ist die DIN ISO 26000 Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung, nach dem man sich deshalb sehr gut richten kann, weil er ideal zur ISO 9001 passt. Er definiert die Kernthemen und Handlungsfelder, so dass jedes Unternehmen unaufwändig entscheiden kann, welche für die eigene Situation zutreffen. Sehr hilfreich ist auch der Deutsche Nachhaltigkeitscodex, ein international anwendbarer Berichtsstandard für Nachhaltigkeitsaspekte, der mit seinen 20 Kriterien auch gute Dienste als Wegweiser zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise leistet. Genauso kann man auch die 28 ausgewählte Leistungsindikatoren der Global Reporting Initiative (GRI) heranziehen. Schließlich enthalten die Managementsystemstandards ISO 14001, ISO 45001, ISO 50001, aber auch das europäische Umweltmanagementsystem EMAS viele Aussagen zur Nachhaltigkeit, die man in die Überlegung einbeziehen kann. Die neueste Entwicklung: ISO hat einen Managementsystemstandard (ISO 53001) in Arbeit, der die Realisierung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, der „Sustainable Development Goals“ (SDG), unterstützen und das sogar zertifizierbar machen soll. Das ist aber noch Zukunftsmusik und wird frühestens Ende 2025 zur Verfügung stehen.

qm-aktuell.de: Trotzdem bleibt das komplexe Thema wohl eine Herausforderung – vor allem für kleine Unternehmen.

Claudia Brückner: Das Thema Nachhaltigkeit erfordert Zeit und Know-How, und das kann der Qualitätsmanager mit seinem breiten Aufgabenspektrum nur selten leisten. Wenn das Unternehmen nicht einen Mitarbeiter fachlich dafür qualifizieren kann, wird es sicherlich schwierig werden. Weil das Thema so riesig ist und eine Vielzahl von Fachgebieten berührt, wird es dann kaum zu vermeiden sein, Sachverstand von außen einzukaufen, Das kostet zwar erst einmal Geld, aber weil im Endeffekt eigene Ressourcen, wie z. B. Zeit und Personal eingespart werden, kann es vermutlich am Ende günstiger sein.