Das Qualitätsmanagement im Digitalisierungsprozess

4 Aug

Interview mit Torsten Borgers, Senior Trainer Qualitätsmanagement der TÜV Rheinland Akademie

Das Qualitätsmanagement treibt seine eigene Digitalisierung voran und fördert gleichzeitig die Digitalisierung des Gesamtunternehmens, indem es auf die strategischen Entscheidungen der Unternehmensleitungen einwirkt, sagt QM-Experte Torsten Borgers. Beratungskompetenz und aktuelle Kenntnisse der Digitalisierungschancen sind dazu Voraussetzung. Der Senior Trainer Qualitätsmanagement der TÜV Rheinland Akademie hat über dieses Thema einen Fachbeitrag geschrieben, der in der 30. Ergänzungslieferung des QMB veröffentlicht wird und bereits jetzt online erschienen ist.

qm-aktuell.de: Herr Borgers, die Unternehmen brauchen eine Digitalisierungsstrategie, heißt es. Wie wichtig ist darin das QM?

Torsten Borgers: Prinzipiell verfolgen die Organisationen mit ihren Digitalisierungsstrategien nahezu identische Ziele wie das QM. Dazu gehören beispielsweise Effizienzsteigerung in der Produktentwicklung, die Optimierung von Verwaltungsvorgängen oder der Schutz vor digitalen Gefahren (Industriespionage, Hacker-Angriffe usw.). Es geht ihnen darum, bestehende Prozesse rentabler zu machen (z.B. durch ERP-Lösungen), die Innovationsfähigkeit zu verbessern und neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln – um nur einige der wichtigen Punkte aufzuzählen. Fast alle diese Ziele sind direkt oder indirekt qualitätsrelevant. Das QM ist immer die verbindende Schnittstelle. Die Qualitätsmanager sollten sich daher in all diesen Bereichen als Berater und Treiber in Sachen Digitalisierung verstehen. Das ist den meisten auch sehr bewusst. Wenn allerdings die entsprechenden Partner im Management fehlen, werden sie damit wenig erreichen. Gerade in Deutschland wird in vielen Unternehmen zwar viel über Digitalisierung geredet, aber noch zu wenig gehandelt. In manchen Branchen macht sich das schon zunehmend als Wettbewerbsnachteil bemerkbar, viele Organisationen lassen aufgrund fehlender Werkzeuge die nötige Agilität vermissen, um mit den sich schnell ändernden Marktbedingungen und -anforderungen Schritt zu halten. In anderen Branchen sind die Nachteile der schleppend vorangetriebenen Digitalisierung noch nicht so deutlich sichtbar, sie zeigen sich aber schon auf der Kostenseite. Analoge Prozesse kosten einfach mehr Zeit, Material (Papierkram) und Personalressourcen. Der grassierende (Fach-)Arbeitskräftemangel wird diesen Konkurrenznachteil weiter zuspitzen.

qm-aktuell.de: Die QS hat ja eine ziemlich klar definierte Rolle. Sie nutzt die Möglichkeiten, immense Datenmengen aus den Prozessen einzusammeln, quasi in Echtzeit auszuwerten und für die Steuerung zu nutzen. Was aber ist der Job des QM?

Torsten Borgers: Wie Sie richtig sagen, wird die klassische Qualitätssicherung mehr und mehr zu einem Data Service innerhalb der Organisation. Sie nutzt die vielfältigen Möglichkeiten der digitalen Sammlung und Analyse von Informationen und stellt sie in Sekundenschnelle den verschiedensten interessierten Parteien zu Verfügung. Fehler oder sich abzeichnende Qualitätsmängel lassen sich so schnell bewerten und bearbeiten. Die Aufgaben der QS sind operativ zu verstehen. Das QM steht dagegen in einer vor allem strategischen Verantwortung, es muss eher organisationsentwicklerisch arbeiten. Qualitätsverantwortliche werden sich gemeinsam mit den Leitungskräften der Organisation der Aufgabe stellen müssen, das QM-System so zu verbessern, dass es die sich ständig ändernden Anforderungen der internen und externen interessierten Parteien des QM-Systems berücksichtigt und stets mit den neuen digitalen Möglichkeiten im Einklang ist. Das QM sollte auch durch seine zentrale Position darauf hinwirken, digitale Insellösungen in der Organisation zu verringern.

qm-aktuell.de: Wie sollten die QM in der Umstellungsphase auf digitalisierte Produktion und Geschäftsprozesse agieren? Die Formel von der Organisationsentwicklung zu einem insgesamt qualitätsfähigen Unternehmen ist ja sehr allgemein. Welche Ziele sollten sie verfolgen?

Torsten Borgers: Zunächst einmal können Workflows und Künstliche Intelligenz die Arbeit im Qualitätsmanagement entscheidend erleichtern – beispielsweise die Dokumentenlenkung, das Erstellen von Aktivitätenübersichten, die Reklamationsbearbeitung, Risikobewertungen und anderes mehr. Die Zielstellungen im QM sind mit den Begriffen Datenmanagement, Dokumentenmanagement, Prozessdokumentation, Risikomanagement, Auditmanagement, Projektmanagement und Kollaboration zu verknüpfen. Damit ist eine ganze Reihe von Anforderungen und Chancen des QM einer Organisation verbunden. Ich nenne nur einige wichtige Punkte, auf die der QMB seine Aufmerksamkeit richten muss: Die betriebliche Digitalisierung lässt die Datenmenge exponentiell ansteigen. Das weitet einerseits den Umfang und Aufwand des QM aus, bietet andererseits aber auch neue Möglichkeiten der Transparenz. Mobile Applikationen und Online-Tools heben die Art der Qualitätskontrolle auf ein bisher unvorstellbares Niveau und eröffnen den Qualitätsprüfern ganz neue Möglichkeiten. Das Erstellen, Ausfüllen und Sammeln von Daten zur Qualitätskontrolle lassen sich heutzutage wesentlich vereinfachen.

Die Erwartungen an das Qualitätsmanagement steigen mit den neuen digitalen Möglichkeiten. Die interne und externe Kommunikation einer Organisation wird immer digitaler und schneller. Kunden und interne Bereiche der Organisationen erwarten inzwischen sehr zeitnah Reports über durchgeführte Prüfungen und Tätigkeiten sowie Prozessdarstellungen mit aktuellen Zielen und Kommentarmöglichkeiten. Die Mitarbeiter einer Organisation erwarten lebendige und auf ihre Anforderungen abgestimmte QM-Dokumente. Tutorials, Podcasts, umfangreiche Kommentarfunktionen, Blogs, Verlinkungen können mit modernen Softwarelösungen realisiert werden. Projektgruppen entdecken die Vorteile agiler Techniken und Methoden wie Scrum oder Design Thinking und fordern hier zunehmend softwaretechnische Unterstützung.

qm-aktuell.de: Sie haben eben den Begriff Beratung ins Spiel gebracht: Das Thema Organisationsentwicklung reicht demnach über die engeren Aufgaben des QM hinaus?

Torsten Borgers: Das Qualitätsmanagement treibt seine eigene Digitalisierung voran und fördert gleichzeitig die Digitalisierung des Gesamtunternehmens, indem es auf die strategischen Entscheidungen der Unternehmensleitungen einwirkt. Natürlich geht es immer um die Qualitätsfähigkeit der gesamten Organisation. Qualitätsmanager sind zunehmend gefordert, einen Beitrag zur Digitalisierung beizusteuern und in diesem Zusammenhang auch Beratungskompetenz zu besitzen. Die Ermittlung von Digitalisierungschancen im Unternehmen und speziell in den Prozessen – auch in den klassischen QM-Prozessen – ist nicht allein seine Aufgabe. Qualitätsmanager sollten aber in der Lage sein, dafür wertvolle Unterstützungsleistungen zu erbringen. Sie müssen sich dazu ständig mit folgenden Fragen auseinandersetzen:

  • Welche Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Dokumentensteuerung werden nicht mehr benötigt (zum Beispiel der Ausdruck von Dokumenten im Rahmen der Freigabe)?
  • Welche Tätigkeiten und Prozesse lassen sich auch mithilfe digitaler Umsetzungen schneller abwickeln?
  • Welche Tätigkeiten werden durch digitale Unterstützung sicherer oder besser?
  • Welche Tätigkeiten können leichter durch andere Funktionen übernommen werden?
  • Welche Daten entstehen durch digitale Unterstützung, die sinnvoll und vielfältig genutzt werden könnten?

Diese Punkte stellen nur einen kleinen Teil an Denkanstößen für Qualitätsmanager dar. Hinzu kommt die äußerst wichtige Aufgabe, gemeinsam mit dem leitenden Management an einem „digitaleren“ Bewusstsein der Belegschaft zu arbeiten. Sie sollten durch Aufklärung über die Vorteile und Chancen die Angst vieler Mitarbeiter vor der Digitalisierung und ihren Folgen für den einzelnen und das Unternehmen reduzieren helfen.

qm-aktuell.de: Um das erfolgreich zu tun: Welche Qualifikationen und Fähigkeiten muss der QMB im Transitionsprozess und im digitalisierten Unternehmen mitbringen?

Torsten Borgers: Viele Qualifikationen und Fähigkeiten, die schon immer grundlegend für diese Aufgabe waren, bleiben wichtig: Flexibilität, Teamfähigkeit, Kooperations- und Führungsvermögen, natürlich die Kenntnisse gesetzlicher Aspekte (Produkt/DL Haftung, Informationssicherheit, Datenschutz, Lieferkettengesetz). An Bedeutung gewonnen haben in den schwierigen Veränderungsprozessen die Berater- und Vermittlerkompetenzen. Eine grundsätzliche IT-Kompetenz ist für den heutigen QM selbstverständlich unerlässlich. Aber worum sich der heutige Qualitätsmanager besonders bemühen muss ist die vertiefte Kenntnis der auf die Branche zugeschnittenen digitalen Techniken und Lösungen – hier stets auf dem Laufenden zu bleiben, ist angesichts des enormen Tempos der Technologie-Entwicklung eine ständige Herausforderung.