Gespräch mit Sepinaz Kuska, Fachbereichsleiterin Management Systeme bei der TÜV Rheinland Consulting GmbH
Das Thema Sorgfaltspflichten in der Lieferkette wird früher oder später alle größeren Unternehmen einholen, auch solche, die jetzt nicht direkt betroffen sind. Mögliche Bußgelder sind dabei nur ein Teilaspekt. Kunden, Geschäftspartner und auch die Mitarbeiter werden immer öfter danach fragen, wie es ein Unternehmen mit seiner Verantwortung für Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit hält.
qm-aktuell.de: Verantwortung für Menschenrechte und Umwelt in ihrer gesamten Lieferkette tragen – können Unternehmen das tatsächlich leisten? Welche Firmen stehen künftig vor dieser Herausforderung?
Sepinaz Kuska: Zunächst einmal: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz führt eine Bemühungspflicht ein, keine Verpflichtung zum Erfolg. Das bedeutet: Unternehmen müssen nicht garantieren, dass in ihren Lieferketten nie wieder Menschenrechte oder Umweltauflagen verletzt werden. Sie müssen jedoch nachweisen können, dass sie sich bemüht haben, Risiken zu erkennen und zu beseitigen, dass Beschwerdemechanismen vorhanden sind und nötigenfalls Abhilfe geschaffen wird. Diese Pflicht trifft ab 2023 Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern. 2024 sind dann auch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern ebenfalls einbezogen, wobei ins Ausland entsandte Mitarbeiter mitgezählt werden. Dem Gesetz unterliegen auch ausländische Unternehmen, die in Deutschland entsprechend große Niederlassungen unterhalten. Sie alle müssen ihre Lieferketten betrachten, bewerten und Maßnahmen ableiten.
qm-aktuell.de: Mittelständische Unternehmen sind also nicht betroffen?
Sepinaz Kuska: Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das derzeit so, aber faktisch werden fast alle Unternehmen gut beraten sein, sich um diese Anforderungen zu kümmern. Es wird kommen wie damals beim Energiedienstleistungsgesetz: Das galt ebenfalls nur für einen begrenzten Kreis von Unternehmen, wurde aber schnell heruntergebrochen. D.h. die Verpflichtungen wurden immer weitergereicht. Wir meinen daher: Alle Unternehmen sollten sich mit dem Thema auseinandersetzen. Denn Kunden und Auftraggeber werden immer stärker nach Kontrollmaßnahmen fragen. Außerdem läuft derzeit bereits eine Lieferketten-Gesetzgebungsinitiative auf EU-Ebene, die den Geltungsbereich noch erheblich ausdehnen könnte.
qm-aktuell.de: Die Verantwortung ist abgestuft – sie nimmt offenbar mit wachsender Entfernung ab. Wie sieht das praktisch aus?
Sepinaz Kuska: Die Verpflichtung, sorgfältig zu prüfen und zu bewerten, erstreckt sich zunächst nur auf direkte Zulieferer. Um deren Lieferanten muss sich das Unternehmen erst kümmern, wenn ihm Probleme bekannt werden. Wird ein Verstoß gemeldet, muss der Menschenrechtsverantwortliche der Sache nachgehen und nötigenfalls für Abhilfe sorgen. Sonst kann es teuer werden. Hat ein Unternehmen nachweislich von Menschenrechtsverletzungen gewusst und es unterlassen, dagegen vorzugehen, drohen drastische Sanktionen.
qm-aktuell.de: Was haben nachlässige Unternehmen zu befürchten?
Sepinaz Kuska: Hohe Zwangs- und Bußgelder können verhängt werden, um die Einhaltung des Gesetzes durchzusetzen. Kommen Unternehmen ihren Pflichten zur Risikoanalyse, zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens, Präventionsmaßnahmen und dem wirksamen Abstellen von bekannten Menschenrechtsverstößen nicht nach, drohen Geldstrafen von bis zu 8 Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes. Dieser umsatzbezogene Bußgeldrahmen gilt allerdings nur für Unternehmen mit mehr als 400 Millionen Euro Jahresumsatz. Bußgelder sind aber nicht alles. Wenn das verhängte Bußgeld bestimmte Mindesthöhen (Schwellenstufe je nach Schwere des Verstoßes 175.000 EUR bzw. 1.500.000, 2.000.000, 0,35 % des Jahresumsatzes) überschreitet, können Unternehmen zusätzlich bis zu drei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Für die Überwachung und Sanktionierung braucht es eine Behörde mit effektiven Durchsetzungsinstrumenten. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat dazu weitgehende Befugnisse erhalten. Es kann etwa behördliche Auflagen an Unternehmen verfügen, ihnen Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Pflichten auferlegen oder Auskünfte einfordern.
qm-aktuell.de: Immerhin ist eine privatrechtliche Haftung für Menschenrechtsverletzungen explizit ausgeschlossen worden?
Sepinaz Kuska: Richtig, eine zivilrechtliche Haftung für Schäden, die Unternehmen durch Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursacht haben, ist nicht vorgesehen. Das mindert die Erfolgsaussichten für Geschädigte, wenn sie deutsche Unternehmen vor deutschen Zivilgerichten wegen Menschenrechtsverstößen zur Verantwortung ziehen wollen. So wird der Druck auf Unternehmen deutlich verringert. Ein Klagerecht haben nur NGOs. Für die Mitarbeiter von Zulieferfirmen besteht immer die Möglichkeit, ihr Anliegen einer solchen Menschenrechtsorganisation anzuvertrauen
qm-aktuell.de: Um den Pflichten gerecht zu werden, kommt auf die Unternehmen beträchtlicher Aufwand zu. Zum Beispiel eine menschenrechtliche Risikoanalyse vorzunehmen – was bedeutet das?
Sepinaz Kuska: Risikoanalyse in Bezug auf Menschenrechte meint: Menschenrechtsrisiken müssen bezogen auf eigene Aktivitäten, Geschäftsbeziehungen und Lieferketten systematisch ermittelt und priorisiert werden, d. h. Priorisierung der schwerwiegendsten Risiken und Ableitung von Maßnahmen. Man sollte als Unternehmen einen Überblick zu folgenden Fragestellungen parat haben: Welche Kenntnisse liegen über gefährdete Personen/Gruppen und mögliche Menschenrechtsrisiken vor? Wie kann dieses Wissen umfassend erweitert werden? Welche Quellen, Informationen, Daten, bestehende Verfahren und Systeme können hier herangezogen werden? Welche internen Stakeholder sollten in den Prozess involviert werden? Generell ist der Aufbau einer systematischen Lieferantenbewertung wichtig. Dazu müssen u. a. die relevanten Nachhaltigkeitsthemen festgelegt sein und der Code of Conduct (Verhaltenskodex) angepasst werden. Auch sind interne Zielkonflikte zu identifizieren und möglichst zu lösen (z. B. zwischen den Abteilungen Einkauf und Umwelt). Auf dieser Basis sind die Kriterien festzulegen, nach denen Lieferanten fortan regelmäßig bewertet werden sollen (u. a. Produktionsstandorte, Länderrisiken, Nachweise zum Thema Nachhaltigkeit). Im Anschluss sollte ein angemessenes Nachweisverfahren festgelegt werden und um eine Befürwortung des Lieferanten geworben werden – z. B. regelmäßige Audits beim Lieferanten.
qm-aktuell.de: Also ein regelmäßiges Monitoring mit sorgfältiger Auswertung. Gibt es Möglichkeiten, solche Aufgaben teilweise oder ganz auszulagern?
Sepinaz Kuska: Die Belastung wird je nach Unternehmen sehr unterschiedlich sein. Einen Menschenrechtsbeauftragten zu bestellen, regelmäßige Risikoanalysen durchzuführen, Schaffung von Tools für die Umsetzung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie Beschwerdeverfahren – das alles kann für ein großes Unternehmen mit komplexen Lieferketten viel Aufwand bedeuten. Externe Unterstützung heranzuziehen ist natürlich möglich. Eine komplette Auslagerung der Aufgabe empfehlen wir aber nicht. Denn es ist wichtig, dass der Stellenwert dieses Thema im Unternehmen präsent und im Bewusstsein der Unternehmensleitung und der Mitarbeiter lebendig ist. Ein Unternehmen, in dem die Gedankenwelt der Nachhaltigkeit, Compliance und sozialer Verantwortung lebendig und sichtbar ist, wird ganz anders mit seinen Lieferanten über diese Fragen kommunizieren können.
qm-aktuell.de: Wie können Unternehmen die Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflichten nachweisen? Gibt es Ansätze zu einer Zertifizierung?
Sepinaz Kuska: Die gibt es in der Tat – etwa durch die Installation eines Compliance-Management-Systems nach ISO 37301 oder durch die Integration der Anforderungen in bestehende Managementsysteme gemäß ISO 9001, ISO 14001, ISO 45001, etc. Unternehmen, die ISO-zertifiziert sind, müssen dazu jetzt nichts völlig Neues schaffen. Sie sollten das, was sie bereits haben, entsprechend erweitern. Das ist nicht so komplex und mit vertretbarem Aufwand zu machen.
Das Gespräch führte Michael Bechtel.
Kontakt: sepinaz.kuska@de.tuv.com
Die soeben erschienene Fachbroschüre „Die ISO 37301:2021 – Interpretation der Anforderungen“ gibt einen kompakten Überblick über die Normforderungen und darüber, wie diese in der Praxis erfüllt werden können.