Agilität hilft, mit disruptiven Technologien zurechtzukommen und im Chaos der VUCA-Welt zu bestehen – ein Riesenthema, aber kein neues. In den 50er-Jahren entdeckte der Systemtheoretiker Talcott Parsons Adaptation, Goal Attainment, Integration und Latency (AGIL) als die Fähigkeiten, ohne die keine Organisation dauerhaft sein kann. Agil mussten Unternehmer immer sein, doch das heutige Verständnis ist komplexer. Agilität unterwirft sich einem Wandel, von dem niemand genau weiß, wo er hinführt. Umstellungsfähigkeit wird selbst zur Kernkompetenz.
Schnabel und Meinel definieren Agilität als Fähigkeit, „während des Handlungsvollzugs auf der Grundlage wahrgenommener oder vorauszusehender Situationsveränderungen (…) das Handlungsprogramm den neuen Gegebenheiten anzupassen und (…) durch ein situationsadäquateres zu ersetzen und damit die Handlung auf völlig andere Weise fortzusetzen.“ Das basiert auf Information, Intuition reicht nicht mehr. Agilität ist datengetrieben. Die Möglichkeit agiler Richtungskorrekturen verdankt sich den Fortschritten der IT und Algorithmik. Big Data und KI entscheiden, wer rasant auf Umbrüche reagieren, neue Wünsche der Kunden befriedigen und im Wettbewerb die Nase vorne haben kann.
Dazu braucht es Menschen, die mit Veränderung klarkommen. Agilität ist kein Set von Instrumenten, sondern eine Grundhaltung, sagen Praktiker wie Theoretiker. Weil es darum geht, Gruppen von Mitarbeitern zu befähigen, gemeinsam, selbstständig und frühzeitig die Notwendigkeit für einen Kurswechsel zu erkennen, so Wirtschaftswissenschaftler Horst Wildemann, braucht sie Führung. Topmanager müssen umdenken, denn Befehl und Gehorsam, auch „Management by Objectives“ funktionieren nicht mehr. An die Stelle starrer Ziele treten Visionen, die Mitarbeiter beflügeln, an denen die Annäherung an ein Ziel zu messen ist. Chefs müssen lernen, Teams mit unterschiedlichen Kompetenzen und Perspektiven zu besetzen und Vernetzung zu fördern. Sie sollten Kontrolle abgeben, Orientierung bieten und weniger Vorgaben machen. Weiche Faktoren wie Vertrauen, Motivation und Inspiration werden wichtig.
In diesem Umfeld sind Methoden wie Scrum oder Kanban hilfreich, weil sie empirisch, inkrementell und iterativ, also auf der Basis von Erfahrungen, in kleinen Schritten und sich wiederholenden Etappen funktionieren. Sie erzeugen Transparenz, machen die regelmäßige Überprüfung der Ergebnisse und eine Anpassung der Ziele im Zuge der Entwicklung möglich. Methoden sind aber nicht Kern der Sache. Agilität zielt auf Zusammenarbeit, Verantwortungsfreude, intrinsische Motivation und Selbstorganisation. Der Mensch und das Team spielen die Hauptrolle ähnlich wie im Lean-Ansatz. Unumstritten ist das nicht. Agilität als Management-Konzept fordert eher weniger intrinsische Motivation und Selbstverantwortung“, meint etwa QMB-Mitherausgeber Prof. H.-J. Thomann. Entscheidend sei schnelle Datenerfassung und Interpretation, um diese dann zentral in das System von Mensch, Maschine und Arbeitsorganisation einzuspeisen. „Agilität fordert mehr Automation, also das Gegenteil von Selbstbestimmung und Verantwortung der beteiligten Workforce.
Jedenfalls stimmt es nicht, Agilität sei im Grunde konsequent umgesetztes Lean Management. „Wenn wir es ganz einfach ausdrücken müssen“, so Unternehmensberater Malte Foegen, „dann bringen wir es auf folgende Formel: Agilität = Lean + Innovation + Arbeit 4.0.“
QM entstand in einer Welt stabiler Prozessorganisationen. Sind die Abgesänge gerechtfertigt, die vereinzelt laut werden? Welche Rolle kann der Q-Manager spielen? Die Qualitätssicherung 4.0 werde ihm entgleiten, glauben viele. Da geht es in Richtung Automatisierung, Simulation, Smart-Data-Nutzung und lieferkettenübergreifende Vernetzung. QS wird zu einem integrierten, mit dem Fertigungsmanagement verzahnten Prozess. Gleichwohl gilt auch hier: Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Methoden. Der einseitige Prozess- und Methodenfokus, der Probleme der Zusammenarbeit der Beteiligten in starren Aufbauorganisationen ignoriert, gefährdet die QS in komplexen Liefernetzwerken. Wenn persönliche Vernetzung ein Qualitätsfaktor ist, könnte das QM eine Art Oberhoheit behalten.
überwiegend wird aber die Rolle des QM in der strategischen Organisationsentwicklung gesucht, so sieht es auch die DGQ. Es hilft die teamorientierte, kooperative Unternehmenskultur entwickeln und fördert die Vernetzung. QM unterstützt das Unternehmen bei der Weiterentwicklung im digitalen Wandel, managt die Interaktion mit den Kunden und ihre Einbindung in Ideenfindung und Entwicklung von Produkten, kümmert sich, dass Marktentwicklungen und Kundenverhalten zeitnah ausgewertet und in Innovationsprozesse eingespeist werden. Als Befähigter für die erfolgreiche Innovation sichert QM die Zukunft, sogar von seiner Verschmelzung mit dem Innovationsmanagement ist die Rede.
Unwillkürlich denkt man an die eierlegende Wollmilchsau. Irgendwie soll QM in nahezu alle Belange einer „dienenden Führung“ der agilen Organisation involviert sein. Dabei bleiben auch im agilsten Unternehmen Prozesse, die stabil und relativ gleichbleibend ablaufen. Vielleicht ist es nicht die unwichtigste Aufgabe des agilen QM, die Balance zwischen Prozessorientierung, klassischem Projektmanagement und agilem Arbeiten immer neu zu finden. Sonst wird Agilität zu einem Hype, dem viele nur aus Angst nachjagen, den Anschluss zu verlieren.