Unternehmen, die über ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) hinaus weitere Managementsysteme betreiben, sind in Sachen nachhaltiger Unternehmensführung bereits recht gut unterwegs. Besonders wenn sie es in Form eines Integrierten Managementsystems (IMS) tun, sagt Sarah Olschewski. Das ganzheitliche Ideal der Nachhaltigkeit aber gehe weit über die Themen hinaus, die in Managementsystemen standardisiert sind, so die Beraterin bei TÜV Rheinland Consulting GmbH. In diesem Interview erläutert sie, welche Bedeutung Nachhaltigkeit hat und was Managementsysteme dazu beitragen.
Was trägt das QMS zur Nachhaltigkeit eines Unternehmens bei?
Olschewski: Was Unternehmen durch ihr QMS in Hinblick auf Nachhaltigkeit richtig machen: Sie betrachten das Prozessmanagement, haben den risikobasierten Ansatz, das Wissensmanagement und die Ressourcenschonung im Visier, sie berücksichtigen die Qualität der Produkte oder Dienstleistungen und die Kundenzufriedenheit. Ohne das alles gibt es keine nachhaltige Unternehmensführung. Von diesem Kern seiner qualitätsrelevanten Tätigkeiten ausgehend kann ein Unternehmen überlegen, was darüber hinaus noch dazu gehört, um seine Existenz und Weiterentwicklung in der heutigen Welt nachhaltig zu sichern.
Nachhaltigkeit ist demnach kein Luxusthema, sondern im ureigensten Interesse des Unternehmens?
Olschewski: Sicher, denn Nachhaltigkeit bedeutet: so zu handeln, dass die eigenen Bedürfnisse befriedigt werden und kommende Generationen die Chance behalten, dies ebenfalls zu tun. Unternehmen können durch eine nachhaltige Unternehmensführung einerseits einen Beitrag zur gesellschaftlichen Verantwortung leisten und andererseits ihre Risiken und Kosten reduzieren sowie ihre Chancen und Einnahmen erhöhen. Damit leistet Nachhaltigkeit einen Beitrag für Unternehmen auf den Gebieten Compliance, Strategieentwicklung, Reputation, effizienter Einsatz von Ressourcen und vielen anderen mehr. Sie verbessern z. B. durch die Förderung von Innovationen ihre Profitabilität und ihre Chancen, Zugänge zu neuen Märkten zu finden, aber auch ihre Akzeptanz bei den Stakeholdern. Mitarbeiter werden gehalten oder dazugewonnen. Die Vorteile sind demnach vielfältig.
Bei Einzelthemen wie Qualität, Umwelt, Gesundheit usw. geben Standards klare Verhaltensregeln vor, es gibt Verantwortlichkeiten und Strukturen. Wer definiert die Ziele der Nachhaltigkeit und kümmert sich um die Umsetzung?
Olschewski: Nachhaltigkeit ist ein übergreifendes Thema. Alle Bereiche des Unternehmens werden zusammen betrachtet. Es geht nicht darum, einzeln zu betrachten, was für die Umwelt, zur Qualitätssteigerung oder zum Gesundheitsschutz der Mitarbeiter getan werden kann. Alle Maßnahmen in den verschiedenen Ressorts müssen in ihrer Gesamtheit und in ihren Wechselwirkungen analysiert werden. Das Unternehmen entwickelt dazu eine Nachhaltigkeitsstrategie, aus der sich Ziele und Maßnahmen ergeben. Das ist eine übergreifende Aufgabe.
In solchen Fällen heißt es immer, die oberste Leitung ist verantwortlich. Aber wer muss die Arbeit machen?
Olschewski: Das ist kaum generell zu beantworten. Natürlich entscheidet jedes Unternehmen selbst, wie es sich organisiert und wie es das Thema Nachhaltigkeit angeht. Aber für eine einzelne verantwortliche Person dürfte es schwierig sein, alle Nachhaltigkeitsaspekte gleichwertig zu behandeln. Dann könnte der ganzheitliche Ansatz gar nicht mehr richtig zur Geltung kommen, denn niemand ist in allen Gebieten firm. Der Nachhaltigkeitsansatz ist in allen Bereichen des Unternehmens und ihre Bereichsgrenzen hinaus zu diskutieren und zu implementieren. Deshalb sollte ein interdisziplinäres Team aus Vertretern der einzelnen Unternehmensbereiche zusammen kommen, Wissen austauschen und gemeinsam entscheiden. Ausschlaggebend für den Erfolg ist, dass die Unternehmensleitung sich für wirksame Schritte stark macht und diesem interdisziplinären Team den Rücken stärkt. Mit Sprüchen für die Öffentlichkeitsarbeit wird keine Nachhaltigkeit im Unternehmen erreicht. Nötig sind Maßnahmenprogramme, die das Unternehmen im Inneren verändern.
Interdisziplinär heißt: Ein Unternehmen, das über das QMS hinaus ein Umweltmanagementsystem (UMS), ein Energiemanagement (EnMS), ein Arbeitsschutzmanagement (AMS) oder sogar noch weitere Systeme betreibt, ist im Sinne von Nachhaltigkeit schon recht gut unterwegs?
Olschewski: Richtig, die verschiedenen Managementsysteme leisten einen wichtigen Beitrag; wenn sie als IMS betrieben werden, wirken dazu noch Synergieeffekte. Ein integriertes Managementsystem verbindet und bündelt die Vorteile. Allerdings fördert nicht jedes IMS Nachhaltigkeit vollumfänglich. Wenn ein QMS als Basis z. B. allein mit einem AMS integriert ist, ist damit noch keine nachhaltige Unternehmensführung erreicht. Die ökologische Dimension fehlt.
Welchen Beitrag leisten die Managementsysteme denn konkret zur Nachhaltigkeit?
Olschewski: Managementsysteme tragen inhaltlich in unterschiedlicher Weise zur Nachhaltigkeit bei. Beim QMS etwa sind es die Kundenzufriedenheit, das Prozessmanagement und die Produktverantwortung, die betrachtet werden. Beim ASM sind es soziale Aspekte, die durch Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz erfasst werden, aber auch Themen wie Chancengleichheit und Geschlechtergleichheit. Beim UMS sind es Aspekte des Umweltschutzes. Das EnMS leistet durch Energieeinsparungen ebenfalls einen Beitrag zur ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit. Auch methodische Aspekte der Managementsysteme tragen zur Nachhaltigkeit bei, etwa der risikobasierte Ansatz im QMS oder die Arbeitsschutzkultur beim AMS, die die Einbindung der Mitarbeiter fördert. Beim EnMS ist die Bildung des interdisziplinären Teams hervorzuheben. Beim UMS geht es um die Betrachtung von Risiken aufgrund bindender Verpflichtungen. Ein Aspekt, der bei allen Managementsystemen umgesetzt wird und einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet, ist der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP), denn darum geht es bei Nachhaltigkeit. Ein nachhaltiges Unternehmen zu sein, ist kein fixierter Zustand, der, wenn er einmal erreicht ist, keine weiteren Anstrengungen mehr benötigt.
Die Betriebswirtschaft spricht von einem 3-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit: Ökonomie, Ökologie und Soziales. Trifft das den Kern?
Olschewski: Das trifft es genau. Es geht um eine ganzheitliche Betrachtung. Dabei leisten die einzelnen Managementsysteme ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit. Allerdings geht nachhaltige Unternehmensführung noch über die Themen hinaus, die in Managementsystemen standardisiert sind. Korruptionsbekämpfung etwa, ethisches Investment oder bürgerschaftliches Engagement werden in keinem Managementsystem betrachtet, sondern ergänzen diese. In Gremien der „International Organization for Standardization“ (ISO) wird bereits an Standards gearbeitet, die die bisherigen ergänzen sollen – etwa unter dem Schlagwort der menschzentrierten Organisation mit der Normenfamilie ISO 27500. Zudem soll ein ganz neu gebildetes technisches Komitee eine Systemnorm zur Kreislaufwirtschaft entwickeln. Das sind alles Aspekte, die unter dem Blickwinkel Nachhaltigkeit sinnvoll sind und die wachsende Bedeutung des Themas unterstreichen.