Die Fernauditierung erweitert das Spektrum der Verfahren und eröffnet neue Möglichkeiten
Wie das Home-Office hat das Fernaudit durch die Corona-Pandemie einen enormen Schub erfahren. Nach dem Ende der Pandemie wird das weitergehen, davon ist Torsten Borgers überzeugt. Der Auditor und Senior Trainer Qualitätsmanagement von TÜV Rheinland hat in den vergangenen Monaten viele Auditoren in den Kursen der TÜV Rheinland Akademie auf diese Aufgabe vorbereitet und einen Fachbeitrag in „Der Qualitätsmanagement-Berater digital“ geschrieben. Im Interview spricht er über Vorteile und Grenzen des Remote-Audits, aber auch über Besonderheiten, auf die sich Auditoren und Unternehmen einstellen müssen. Dabei liegt ihm nichts an einer Diskussion „Remote- gegen Vor-Ort-Audit“. Die Fernauditierung erweitere einfach das Spektrum der Verfahren, sagt er, und eröffne neue Chancen.
Michael Bechtl (qm-aktuell): Herr Borgers, das Remote-Audit ist keine neue Erfindung, es hat nur bis vor kurzem fast keine Rolle gespielt. Warum wird das in der Zeit nach Corona nicht wieder so sein?
Torsten Borgers: Corona hat viele Türen geöffnet, die verbreiteten Vorbehalte sind unter dem Druck, alternative Auditverfahren zu nutzen, deutlich abgebaut worden. Viele Unternehmen haben erlebt, dass die befürchteten Nachteile bei professionellem Vorgehen gar nicht eintreten und die wirtschaftlichen Vorteile erheblich sind. Die eingesparten Reisezeiten, Reisekosten und Ressourcen sprechen für sich.
Michael Bechtl (qm-aktuell): Kostensenkung überzeugt immer. Könnte es sein, dass die Fernauditierung bald die Standardmethode wird?
Torsten Borgers: Einsparung ist oft ein starkes Argument, stattdessen kann aber ein Unternehmen auch mit dem gleichen Aufwand die Auditdichte in kritischen Bereichen erhöhen. Für viele Unternehmen wird es darüber hinaus wichtiger, einen Beitrag zur Emissionsreduktion und zum Kampf gegen den Klimawandel vorweisen zu können. Ein weiterer Aspekt gerade in Krisensituationen ist die Schnelligkeit: Remote-Audits können in kürzester Zeit ein Bild einer Situation vor Ort liefern. Alle diese Vorteile bekommen die Unternehmen ohne aufwändige Investitionen, die notwendige IT ist ja meistens schon vorhanden.
Trotzdem werden Remote-Audits die Vor-Ort-Audits nicht komplett ersetzen. Ich muss mir als Auditor immer zunächst darüber klar werden, was die Zielsetzung des Audits ist, und danach meine Verfahren und Methoden auswählen. Bei vielen Untersuchungsthemen ist Remote die effizientere und produktivere Auditmethode und kein aus der Not geborenes Verfahren. Bei Produktaudits, wo sich manchmal vor Ort die Produkte überhaupt nicht inspizieren lassen (denken Sie an Unterwasser-Bohranlagen, Kraftwerksbereiche oder Ähnliches), sind Fully Remote Audits heute schon verbreitet. Dagegen lassen sich etwa der Mindset von Mitarbeitern oder auch die Validität von Prozessen im Rahmen eines Vor-Ort-Audits noch am effektivsten auditieren. Bei System- und Prozessaudits werden Remote-Verfahren wohl weiterhin eine eher ergänzende Rolle spielen, wahrscheinlich mit stetig wachsenden Anteilen.
Michael Bechtl (qm-aktuell): Kritiker bemängeln, dass bei der Fernauditierung das Moment der Beobachtung, der Erlangung persönlicher Eindrücke von Abläufen und Verhältnissen wegfällt?
Torsten Borgers: Ich sehe das gar nicht als Kritik. Selbstverständlich hat jedes Auditverfahren (Remote Fully/Partly), Vor-Ort und jede Auditmethode (Interview, Dokumenten und Datenanalyse, Beobachtung, Inaugenscheinnahme, Begehung) Stärken und Schwächen. Wie gesagt: Bei der Auditplanung muss ich aus den verfügbaren Methoden die auswählen, die meiner Aufgabe am besten gerecht werden.
Wenn ich wissen will, ob etwa bestimmte Reinigungsvorschriften eingehalten werden, kann ich mir die Nachweisdokumente zeigen lassen und einen Haken machen – ich kann aber auch mal in die Ecken hineingucken. Es wird immer Situationen geben, in denen ein Vor-Ort-Audit zielführender ist, in anderen Situationen ist es dann das Remote-Audit. Bei dem kann ich übrigens mit den heutigen technischen Mitteln auch in die Ecken hineingucken. Das hängt stark von der Leistungsfähigkeit der verfügbaren IT-Infrastruktur ab, die der Auditor vorab ermitteln muss – von den Remote-Techniken der Software-Applikationen und eventuell zur Verfügung stehenden immersiven Systemen (telepresence), mit denen sich eine Vor-Ort-Situation simulieren lässt. Ich muss aber auch den menschlichen Faktor berücksichtigen: Wie groß ist die Bereitschaft, neue Techniken auszuprobieren und anzuwenden? Ängste und Unsicherheit können sehr hinderlich sein, da kann ich nichts erzwingen.
Michael Bechtl (qm-aktuell): Sind denn die Unternehmen nach Ihrem Eindruck überwiegend technisch und menschlich schon reif für die Fernüberprüfung, wo sind die Widerstände zu groß sind?
Torsten Borgers: Natürlich gibt es die klassischen Produktion- und Dienstleistungsbranchen, die sich noch mit fast allen Bereichen der Digitalisierung schwertun und auch mit dem Remote-Audit. Aber nicht nur dort gibt es Vorbehalte: Auch fortgeschrittene Branchen wie Luft- und Raumfahrt, Automotive oder Medizintechnik halten sich zurück – nur aus anderen Gründen. Dort fürchtet man um das Auditziel Qualität, die nicht nur auf dem Papier, sondern in der Realität stimmen muss. Deswegen müssen das Sehen, Wahrnehmen, Fühlen und Empfinden von Zuständen im Rahmen von Remote-Audits weiter verbessert werden. Das wird aber passieren. Denken wir nur an die unglaubliche Weiterentwicklung der Drohnentechnik in den letzten Jahren.
Michael Bechtl (qm-aktuell): In Ihrem Beitrag (in „Der Qualitätsmanagement-Berater digital“) machen Sie klar, dass die Vorbereitung für den Auditor besondere Herausforderungen bringt. Was muss er leisten?
Torsten Borgers: Die technische Basis ist in der Tat die zentrale Herausforderung für den Auditor. Es fängt schon mit der Notwendigkeit an, Vorbehalte gegen Audits im Vorfeld festzustellen und möglichst abzubauen – das ist eine Kommunikationsaufgabe. Technikkenntnisse und -affinität allein reichen dazu nicht. Wichtig für ein erfolgreiches, d.h. zielorientiertes und effektives Audit ist ein störungsfreier Ablauf. Der ist aber, auch wenn ITK schon sehr zuverlässig geworden ist, niemals völlig zu gewährleisten, und dann muss der Auditor souverän reagieren können. ITK Risiken (Verbindungsqualität, Software und Hardware, Datenschutz) machen das Risikomanagement gerade bei Remote Audits zu einer wichtigen Aufgabe.
Michael Bechtl (qm-aktuell): Wenn das Internet ruckelt und der Auditor deswegen in Panik gerät, ist das Audit gelaufen?
Torsten Borgers: Das ist ein wichtiger Punkt: Bei einem Vor-Ort-Audit kann ich allein durch meine Präsenz Ruhe in eine Situation bringen, wenn es unübersichtlich wird. Ich kann improvisieren und mal eben Änderungen absprechen. Wenn ich 1000 Kilometer entfernt bin, sollte ich Alternativen und Maßnahmen eingeplant haben. Das Remote-Audit ist aufwändiger zu planen und vorzubereiten als das Vor-Ort-Audit. Welche Dokumente möchte ich sehen? Welche Personen möchte ich sprechen? Welche Bereiche möchte ich mir per Kamera oder per Drohne aus der Luft zeigen lassen? Ich brauche klare Strukturen, einen gut abgestimmten Auditplan, ein durchdachtes Projekt- und Zeitmanagement, das mögliche technische Pannen einkalkuliert.
Michael Bechtl (qm-aktuell): Gute Kommunikatoren müssen Auditoren doch immer immer sein?
Torsten Borgers: Stimmt, aber über technische Kanäle menschlichen Kontakt und Vertrauen herzustellen ist schon noch eine andere Herausforderung. Deshalb üben wir in unseren mehrtägigen Workshops mit hohem Aufwand an Technik so viel wie möglich, simulieren ganz praktisch typische Situationen. Um den Beteiligten in Remote-Audits die erforderliche Sicherheit zu geben, die Kommunikation zielgerichtet zu steuern und auch Kommunikationsstörungen früh zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern – dafür muss man schon Kommunikationsprofi sein. Da braucht es Know-how und praktische Erfahrung.