Interview mit Martin Myska, Herausgeber des Werks „Der TÜV-Umweltmanagement-Berater“
Der Nachhaltigkeitsgedanke ist in den Unternehmen angekommen – Klimaneutralität wird als Weg gesehen, die eigene Überlebensfähigkeit zu sichern, sagt Martin Myska. Im Interview erklärt der Berater in Sachen Managementsysteme die Instrumente und Vorgehensweise zur Ermittlung des CO2-Fußabdrucks. Und weil Klimamanagement keine einmalige Kraftanstrengung, sondern bleibende Aufgabe ist, empfiehlt er, mit dem Aufbau internen Sachverstandes und Ressourcen zu beginnen.
qm-aktuell.de: Herr Myska, im Umfeld der jüngsten Weltklimakonferenz ist deutlich geworden, dass viele Unternehmen in Sachen Klimaschutz der Politik voraus sind. Was motiviert diese Klimapioniere?
Martin Myska: Vielleicht der größte Motivator ist der Druck der Großunternehmen auf ihre Lieferanten. Unternehmen wie VW, BMW oder Telekom haben selbst große CO2-Einsparprojekte umgesetzt, angelehnt an UN-Vorgaben oder offizielle nationalen Ziele. Wenn nationalen Ziele existieren, will man diese als Minimum übernehmen; manche wollen noch schneller sein als die Politik. Das ist die Kundenseite. Institutionelle Investoren fragen den Klimaschutz immer mehr ab – also der Kapitalmarkt, Versicherungen und Banken. Die Unternehmen selbst sehen in manchen Branchen das eigene Geschäftsmodell bedroht. Wenn ein Energieversorger Kohlekraftwerke betreibt und der Ausstieg aus der Kohle beschlossen ist oder die Autoindustrie ein Verbot von Verbrennungsmotoren absieht, geht es an die Grundpfeiler des Geschäftsfeldes. Inhabergeführte Unternehmen, für die Nachhaltigkeit immer wichtig war, sehen Klimaneutralität als Instrument, ihre Überlebensfähigkeit zu sichern. Aber auch eine neue Managergeneration etwa in IT-Unternehmen will teilweise über Klimaneutralität noch hinausgehen und den Schaden aus zurückliegenden Jahrzehnten möglichst ausgleichen. Da gibt es schon fast einen Überbietungswettbewerb bis hin zum „klimapositiven Unternehmen“.
qm-aktuell.de: Welche Unternehmen sind das? Marschieren die EMAS-, ISO-14001 und 50001-zertifizierten Unternehmen an der Spitze?
Martin Myska: Da gibt es eine große Schnittmenge. Großunternehmen sind in der Regel zertifiziert. In der ISO 14001 haben wir indirekte Umweltaspekte als Ansatzpunkt. Die ISO 50001 dagegen dreht sich aus einer reinen Kilowattstundensicht um Energieeinsparung, den Klimaschutzgedanken kennt sie streng genommen nicht – da ist egal, woher die Energie kommt. Gleichwohl gilt, dass Energiemanagement und Klimaschutz zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Das energieintensive Unternehmen, das sich auf regenerative Energien stützt, ist in Sachen Klimaneutralität besser dran als eines, das wenig Energie aus schmutziger Braunkohle verbraucht. Ich würde nicht sagen, dass der Antrieb zu Klimaneutralität direkt aus dem Umweltmanagement oder dem Energiemanagement resultiert. Es ist eine neu hinzugetretene Anforderung. Allerdings gibt es in der ISO-14000-Normenfamilie Standards, die das Thema CO2-Bilanz und CO2-Fußabdruck beschreiben. Dort finden sich die Methoden, die man benötigt; niemand muss das Rad neu erfinden.
qm-aktuell.de: Wie ermittelt ein Unternehmen seine CO2-Bilanz oder den sogenannten CO2-Fußabdruck?
Martin Myska: Das Vorgehen ist in der ISO 14064 oder auch im Greenhouse Gas Protocol standardisiert. Klimamanager können sich auch orientieren an Informationen, die aus dem Bereich Ökobilanz kommen. Es gibt Datenbanken, denen die CO2-Fußabdrücke von Materialien oder Transporten zu entnehmen sind, es gibt Publikationen vom Umweltbundesamt und anderen Einrichtungen. Bei der Ermittlung der Klimaeinflüsse unterscheiden wir drei Bereiche: Scope 1 umfasst direkte Emissionen aus eigenen oder kontrollierten Quellen, Scope 2 indirekte Emissionen aus der Erzeugung von zugekauftem Strom, Dampf, Wärme und Kühlung, die das Unternehmen verbraucht. Die Scope-1 und Scope-2-Information sind kein größeres Problem, das haben praktisch alle. Anders Scope 3: Hier geht es um alle indirekten Emissionen der Wertschöpfungskette – also den vor- und nachgelagerten Bereich. Dieser macht meist mehr als die Hälfte aller Emissionen aus. Bei Autoherstellern sind es sogar 95 bis 98 Prozent, die das Unternehmen nicht direkt unter Kontrolle hat. Es ist auf Daten aus der Lieferkette abhängig. Halbleiter und viele Rohstoffe bekommen sie oft nur aus China oder anderen Ländern mit schlechtem CO2-Fußabdruck. Ausweichmöglichkeit gibt es nicht, oder sie sind knapp und teuer wie zum Beispiel mit Strom aus Wasserkraft erzeugtes Aluminium aus Island. Weder die B2B- noch die Endkunden sind bereit, für entsprechend „klimafreundlicheres Material“ mehr zu zahlen; vielleicht zahlen sie zwei oder drei Prozent mehr, aber nicht zehn oder fünfzehn Prozent. In Scope 3 sind zum Beispiel auch Dienstreisen zu erfassen – weltweit agierende Unternehmen haben einen riesigen Aufwand, wenn sie an dieses Thema herangehen.
qm-aktuell.de: Kommt ein Unternehmen dabei ohne externe Unterstützung aus?
Martin Myska: Anfangs ist es sinnvoll, auf externen Sachverstand zurückzugreifen. Aber Klimamanagement ist keine einmalige Anstrengung, sondern ständige Aufgabe. Deshalb sind Unternehmen gut beraten, rasch mit dem Aufbau internen Sachverstands sowie der erforderlichen personellen Ressourcen zu beginnen, wie man es beim Thema Qualität getan hat. Großunternehmen sind schon dabei. Das Know-how wird auch bei den Klimaschutzprojekten gebraucht, die sich an die Erstellung der CO2-Bilanz anschließen.
qm-aktuell.de: Wenn ein Unternehmen weiß, wo es dem Klima schadet, geht es an Einsparpotentiale. Wie steht es mit der Investitionsbereitschaft?
Martin Myska: Momentan haben wir den Vorteil, dass die Zinsen niedrig sind und das Geld billig ist. So machen sich viele Unternehmen daran, auf LED umzurüsten, auf alternative Energien umzusteigen, Wärmepumpen einzusetzen oder alte Anlagen durch die beste verfügbare Technik zu ersetzen, auch wenn das mehr kostet. Dazu verlängern sie den ROI von bisher zwei oder drei auf fünf oder sechs Jahre, trotzdem bleibt eine Lücke. Zuweilen helfen Fördermittel. Es tut sich also viel, aber letztlich wird immer betriebswirtschaftlich mit dem spitzen Bleistift gerechnet.
qm-aktuell.de: Sind Kompensationsmaßnahmen der günstigere Weg zur Klimaneutralität?
Martin Myska: In diesem Punkt sind die Firmen sensibel. Kompensationsprojekte werden immer kritischer gesehen. Ich kenne Firmen, die mit ihrer Hilfe auf dem Papier seit 2015 klimaneutral sind. Die sagen aber klar: Schön und gut, die Optimierung indischer Öfen oder Solaranlagen in Afrika sind unter CO2-Gesichtspunkten sinnvoll, aber es hat immer ein Geschmäckle von Freikaufen und Ablasshandel. Es wird akzeptiert für Emissionsbereiche, die derzeit technisch nicht kompensierbar sind – etwa für Flugreisen. Die meisten Unternehmen ziehen es aber vor, sich selbst anzustrengen. Wenn Kompensation als letzter Ausweg bleibt, sucht man „Goldstandard-Projekte“, die aber inzwischen rar und teuer sind. Aufforstungsvorhaben sind günstiger, aber schlecht angesehen, seit die von Microsoft und anderen in Kalifornien aufgeforsteten Wälder wieder abgebrannt sind.
qm-aktuell.de: Wenn ein Unternehmen heute ganz von vorne anfängt – welche Schritte sind notwendig?
Martin Myska: Man startet mit der Ist-Analyse: Welche Emissionen habe ich überhaupt, angefangen mit den eigenen Energieverbräuchen. Das zweite Thema: die Scope-2-Emissionen, welche Emissionen verursachen gekaufte Energien, meist Strom – diese Daten bekommt man vom Energieversorger. Mit welchen Energieeffizienzmaßnahmen lassen sich die Eigenverbräuche reduzieren, wo schmutzige Energieträger durch sauberere ersetzen. Anschließend geht es um die Scope3-Emissionen: Wo hätten wir im vor- und nachgelagerten Bereich als Unternehmen überhaupt Einfluss? Das hängt stark von der Marktmacht des Unternehmens ab. Zum Vorgehen gibt es viele schriftliche Information, z. B. in den Standardwerken des TÜV Rheinland. Man sollte die Erfahrungen von anderen nutzen, sich in Arbeitskreisen austauschen, wie sie z. B. von der IHK angeboten werden, den Austausch in Seminaren oder Kongressen suchen. Es muss nicht alles immer viel Geld kosten.
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