Supply Chain Management: Transparenz und smarte Technik sind die Schlüsselthemen

13 Sep

Interview mit Andreas Gerber von Denk-lean.de, Karlsruhe

An Bewusstsein über die Problematik komplexer Lieferketten und Wissen über den Weg zu mehr Supply Chain Resilienz fehlt es in den Unternehmen meistens nicht. Wohl aber an der Umsetzung und vor allem an der unverzichtbaren smarten Technik. Die Digitalisierung der Lieferkette lässt sich nicht per Dekret einführen, sagt Andreas Gerber.

Als Digitalisierungsexperte, vor allem als Coach und Trainer weiß er: In der Belegschaft müssen das nötige Fachwissen und die Bereitschaft wachsen, um die schnellen digitalen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten zu nutzen.

qm-aktuell.de: Wir erleben es gerade: Lieferengpässe, ausgelöst hauptsächlich durch die Corona-Pandemie, drohen das Wirtschaftswachstum abzuwürgen. Kann ein modernes Lieferkettenmanagement solche Situationen vorbeugend verhindern – oder doch abschwächen?

Andreas Gerber: Wir leben in einer dynamischen Welt mit einer global vernetzten Wirtschaft und komplexen Lieferketten, in denen sich die Unternehmen die Arbeit teilen. Die Unternehmen konzentrieren sich daher auf ihre Unternehmensstärken und Fertigungskompetenzen. Kein Prozess ist so komplex und störanfällig wie die Logistik. Für die Unternehmen ist dies eine große Herausforderung, da schon die geringsten Abweichungen die Lieferkette komplett aus dem Takt bringen können. Wir erleben das derzeit exemplarisch mit der Corona-Pandemie, Cyberattacken oder aktuell mit dem Streik bei der Bahn. Ein gut aufgestelltes Supply Chain Management kann die gröbsten wirtschaftlichen Folgen verhindern. Dabei geht es um die Falltiefe. Wenn ein Störfaktor eintritt, hat das Unternehmen Lieferengpässe und Absatz-Probleme über einen längeren Zeitraum. Ein Supply Risk Management kann diese wirtschaftliche Falltiefe verringern, um schneller in den Rebound-Effekt zu gelangen. Man spricht da auch von einer Supply Chain Resilienz. Diese ist im Grunde auch gar nicht so schwer zu erreichen. Die Unternehmen können beispielsweise mit dem Lieferanten über Alternativmaterialien verhandeln, sich nach alternativen Routen und Transportmöglichkeiten umsehen, alternative Lieferketten durchspielen und vieles andere mehr. Ein Unternehmen mit gut aufgestelltem Supply Risk Management kann mögliche und wahrscheinliche Szenarien gewichtet, nach Eintrittswahrscheinlichkeit vorab bewerten und Reaktionsmöglichkeiten abwägen. Wenn ein Problem eintritt, bestehen somit vordefinierte Handlungsoptionen. Das bringt Ruhe in das Unternehmen, es reduziert die Schadenshöhe und führt viel schneller wieder zur Produktions- und Lieferfähigkeit. Wie gesagt: Dadurch lässt sich der Schaden minimieren. Lieferengpässe komplett vermeiden wird bei der Fülle der möglichen Ursachen nicht möglich sein. Mit einem Tanker, der den Suezkanal wochenlang blockiert, rechnet niemand.

qm-aktuell.de: Wenn Resilienz so relativ einfach zu stärken ist – warum ist das ausgefeilte Supply Risk Management nicht längst in allen Unternehmen eine Selbstverständlichkeit? Was muss man tun, um ein hohes Maß an Resilienz zu erreichen?

Andreas Gerber: Die Voraussetzungen sind bei allen Unternehmen unterschiedlich, schon aufgrund der jeweiligen Unternehmensentwicklung oder in Bezug auf unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen. Jedes Unternehmen muss für die Zukunft seine eigenen Strukturen sowie seine externen und internen Beziehungen festlegen. Diese Analyse muss weit oben ansetzen. Damit meine ich bei der Unternehmensstrategie und der Unternehmensvision. Des Weiteren soll der Fokus auf der Durchleuchtung und Analyse der gesamten Prozesskette gelegt werden, d.h. vom Lieferanten, über die eigene Prozesse bis zum Kunden. Kooperationsmodelle im Sinne eines Tier-Management oder mit den Kunden sind sehr wichtig. Transparenz der gesamten Lieferkette und Klarheit über die Strukturen – das sind Schlüsselthemen. Welcher Lieferant oder Unterlieferant liefert welches Bauteil. Das Schell in einer Krise nachzuvollziehen, ist oft immer noch bei manchen Unternehmen eine Herausforderung. Hilfreich ist dabei zu unterscheiden zwischen Supply Chain Management und Supply Risk Management. Sich über die Supply Chain Risk klarzuwerden, ist die Voraussetzung für einen Vorsorgeplan, den das Unternehmen mit den Partnern selbst entwickeln muss. Bei alldem muss eine gewisse Flexibilität im Unternehmen vorherrschen, um agil auf die verschiedenen Störfaktoren Einfluss nehmen zu können.

qm-aktuell.de: Das alles ist offenbar in der Praxis nicht so leicht umzusetzen – wo hakt es am meisten? Ist das eine Frage der organisatorischen Strukturen, mangelt es an Problembewusstsein?

Andreas Gerber: Das glaube ich nicht, vielen ist das alles schon bewusst. Was ich in den Unternehmen sehe ist, dass es viel zu oft an der fehlenden Technik und an deren Durchgängigkeit hängt. In unserem privaten Alltag benutzen wir alle wie selbstverständlich die vielfältigsten digitale Möglichkeiten. In manchen Unternehmen ist jedoch die Digitalisierung immer noch ein Fremdwort. Es mangelt sowohl an der technischen Ausstattung als auch an deren Umgang. Die Nutzung der neuen Technologien ist jedoch ein wichtiger Aspekt bei dem Informationsfluss. Es krankt immer noch an viel zu vielen Medienbrüchen. Bis die Nachricht zum Beispiel von einer Veränderung beim Lieferanten, von Schwierigkeiten beim Transport oder qualitätsrelevante Daten im Unternehmen ankommen, dauert es oft viel zu lange. Dabei wären schnelle Informationen oder verlässliche Planungsdaten bei Just-in-time-Produktion extrem wichtig. Nur so kann rasch reagiert werden. Die Möglichkeiten der Echtzeit-Kommunikation werden noch viel zu wenig genutzt. Unternehmen, die heute noch auf telefonische und schriftliche Abstimmung setzen, laufen Gefahr, vom Wettbewerb abgehängt zu werden – spätestens nach der Corona-Krise. China und die USA zeigen uns bereits, welche Möglichkeiten mit der Digitalisierung und KI möglich ist – in Europa und in Deutschland ist das echt schwierig. Das sehe ich täglich.

qm-aktuell.de: Also doch ein Bewusstseinsproblem, denn eine problembewusste Unternehmensleitung müsste doch rasch für Abhilfe sorgen? Oder ist es eine Frage des Investments?

Andreas Gerber: Ja, es ist eine Frage des finanziellen Aufwands. Mehr noch aber eine fehlende oder mangelnde Fachkompetenz mit Mut zu einer digitalen Transformation. Vieles ist nicht durch Anordnungen zu lösen, sondern braucht einen Anleitungs- und Lernprozess. Eine Lieferkette optimal zu digitalisieren, geht nicht von heute auf morgen. Bei einem Großunternehmen, aber auch bei KMU benötigt das gerne fünf bis zehn Jahre. Eigentlich sind die Voraussetzungen in der Supply Chain sehr gut. Die Logistik hat mit der Digitalisierung früh begonnen. Sie war einer der ersten Bereiche, indem IoT zum Einsatz kam. Viele Daten sind über das ERP digital vorhanden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Logistik sehr Mathematik-affin ist. Unternehmensintern funktioniert das sehr gut. Somit beste Voraussetzungen für die Digitalisierung. Leider sind aktuell die Schnittstellen von Unternehmen zu Lieferanten und Kunden das Problem. Sie müssen standardisierte Datenschnittstellen definieren.

qm-aktuell.de: Wie sehen Sie auf diesem Hintergrund die Anforderungen an das Supply Chain Management, die von außen kommen – sie sollen mehr Verantwortung übernehmen für Umwelt und Klima, jetzt auch für die Menschenrechte in ihrer Lieferkette. Sind sie dazu in der Lage?

Andreas Gerber: Was den Klimaschutz angeht, liegt der Zusammenhang zwischen Logistik, Transport, Dekarbonisierung und Digitalisierung auf der Hand. Auch da ist die Frage, wieviel Klarheit die Unternehmen über ihre verflochtenen und verschlungenen Lieferketten, ihre eigenen Prozesse und ihre Kunden haben. Wenn diese bekannt sind, können sie zum Beispiel relativ leicht ihren CO2-Ausstoß verringern. Das klassische Beispiel ist der Transport. Heutige Navigations- und andere Software-Module berechnen, was auf alternativen Routen das jeweils günstigste Transportmittel oder der günstigste Antrieb ist – Diesel, Wasserstoff, Elektro oder Biogas. Wie ist dabei die optimale Beladung. Ist es besser, über die Alpen zu fahren oder eine längere Strecke zu nehmen oder auf die Bahn umzusteigen? Das kalkuliert die Software bis auf das Gramm CO2-Ausstoß. Wenn eine Störung eintritt, ist die Neuberechnung eine Sache von Sekunden. Termine können eingehalten und Kosten über die CO2-Einsparung reduziert werden. Der Erfolgsschlüssel liegt immer in der Transparenz, der schnellen Information und in der Digitalisierung.

qm-aktuell.de: Die Analyse der Lieferkette und der Risiken steht ja jetzt auch als Pflicht im Lieferkettengesetz

Andreas Gerber: Richtig, auch für die Behandlung von Menschenrechts- und Umweltproblemen ist Transparenz eine entscheidende Voraussetzung. Ich muss meine Lieferkette analysieren, wie es auch der Gesetzgeber fordert. Da hilft mir wiederum das Tier-Management, wenn ich weiß, welcher Lieferant wo sitzt und wie die Lieferkettenverknüpfung ist. Aber „Überblick über die Lieferkette“ – das ist leicht gesagt. Die Situationen verändern sich ständig; alles ist im Fluss. Dabei mit Excel-Tabellen zu arbeiten, ist nicht wirtschaftlich und ist fehleranfällig. Die Unternehmen brauchen smarte Systeme und Programme, die ihnen Veränderungen mitteilen und zwar in Echtzeit. Ohne einen schnellen Datenfluss, ohne Reportingsystem mit KI-Unterstützung geht es kaum noch.

Das Gespräch führte Michael Bechtel