Integrierte Managementsysteme: Themenbezogene Auditplanung senkt den Aufwand und steigert die Auditqualität

21 Jan

Interview mit Dr. Wolfgang Kallmeyer
Ist das Integrierte Managementsystem heute eine gelebte Selbstverständlichkeit in der Wirtschaft? Das hängt von der Branche ab, sagt Dr. Wolfgang Kallmeyer,Managementsystemberater und Trainer, dessen Fachbroschüre „Das Integrierte Audit – Erfolgreich vorbereiten und durchführen“ im November 2018 bei der TÜV Media erschienen ist. Im produzierenden Gewerbe seien Mehrfach-Managementsysteme eher die Regel. Dienstleistungsunternehmen begnügen sich meist mit einem QMS nach ISO 9001.  QM-Aktuell.de sprach mit dem Experten über Aufwand und Nutzen der Auditierung von integrierter Systeme, aber auch über neue Herausforderungen für Auditoren und Auditplanung.

Bei integrierten Systemaudits wird die Programmplanung mit jeder weiteren Disziplin komplexer. Was raten Sie Auditprogrammverantwortlichen, die vor dem Berg an Aufgaben verzweifeln?

Kallmeyer: Die Zahl der Auditkriterien nimmt zum Glück nicht linear zu. Bei den zertifizierungsfähigen Normen hat die ISO mit der High Level Structure eine einheitliche Grundstruktur geschaffen. Auch die Angleichung von Definitionen und Sprache erleichtert das Integrieren. Der Anwender muss aber die alte Sichtweise des ganzheitlichen Managementsystems nach einer Norm aufgeben. Das haben die ISO-Systemnormen bereits getan, indem sie auf einen Managementsystembeauftragten verzichten. Die Unternehmen können die Verantwortung für ihre Managementsysteme selbst regeln und Auditprogramme themenbezogen statt systembezogen aufbauen. Gemeinsame Themen wie z.B. Lenkung dokumentierter Information oder Kompetenz und Bewusstsein sowie Leitungsthemen werden gemeinsam über alle Systeme des IMS auditiert.

Kein Auditor kann drei, vier oder mehr Managementsysteme über alle Prozesse hinweg effizient auditieren. Wo nehmen die Unternehmen die Auditoren her?

Kallmeyer: Die Auditorenqualifikation muss sich neuen Gegebenheiten anpassen. Die eierlegende Wollmilchsau, also der Auditor über mehrere Systeme hat die Qualität der Auditergebnisses nicht verbessert. Die Segmentierung und Spezialisierung auf allgemeine und fachspezifische Themen bringt durch höhere (Fach)Kompetenz bessere Ergebnisse. Dazu braucht es nicht mehr Auditoren als vorher, aber das Kompetenzprofil verschiebt sich. Man benötigt Generalisten, die die vergleichbaren Themen über Systemgrenzen hinweg auditieren können. Der Rest ist Sache von Spezialisten, die sich mit den Fachforderungen einzelner Systemnormen auskennen. Die meisten Auditoren haben heute noch die klassische Kompetenz und kennen sich z. B. als Qualitäts- oder Umweltauditor mit den spezifischen Normen aus. Meist fehlt der Generalist, der die allgemeinen Themen über Systemgrenzen hinweg auditieren kann. Da muss noch geschult werden. Ein Reservoir an potenziellen Auditoren ist bei den Prozessverantwortlichen zu finden.

Remote Audits bieten ein großes Rationalisierungspotenzial – wie steht es um die Qualität?

Kallmeyer: Die Möglichkeit, Vor-Ort-Audits zum Teil durch Remote-Audits zu ersetzen, wird heute schon genutzt. Bei virtuellen Standorten, die nur in der Cloud existieren, geht es nicht anders. Bei Lieferantenaudits in weltweiten Lieferketten, aber auch bei Audits in Unternehmen mit Standorten in aller Welt kann man so den Aufwand in Grenzen halten. Dazu braucht es Auditoren, die in dieser Art des Auditierens geschult sind und wissen, welche Risiken es für die Qualität des Auditergebnisses birgt, den Standort nur durch ein offenes Fenster von außen zu betrachten. Daher gelten bei Zertifizierungsaudits hinsichtlich Art und Umfang von Remot-Tätigkeiten strenge Vorgaben. Gut eignen sich dafür Prozesse, die auch Vor-Ort in Besprechungsräumen oder Büros auditiert würden, weniger gut solche in Produktionsbereichen, Lägern oder Außenanlagen. Da ist der Eindruck vor Ort für ein objektives Auditergebnis entscheidend.

In welchem Maß wird das theoretische Potenzial an Einsparung und Effizienzgewinn tatsächlich realisiert?

Kallmeyer: Das ist ein komplexes Thema und nicht pauschal zu beantworten. Es hängt davon ab, wie effizient die Unternehmen die Integration betreiben. Quantifizierte Aussagen zum Einsparpotenzial sind mir nicht bekannt. Grobe Schätzungen der Aufwandsreduzierung gehen davon aus, dass allgemeine Themen 30 bis 40 Prozent des Gesamtaufwandes für ein Einzelsystem ausmachen. Dieser Anteil kann bei jedem Folgesystem auf 5 bis 10 Prozent sinken. Den Aufwand bestimmt aber auch die Intensität, mit der ein Unternehmen von den Forderungen des Managementsystems betroffen ist. Ein großer Chemiestandort muss mehr Aufwand im Umweltmanagement betreiben als eine Autowerkstatt, gleiches gilt für den Arbeitsschutz.

Einsparpotenzial birgt auch die wachsende Erfahrung im Umgang mit Managementsystemen. Wo die vier häufigsten Systeme Qualität, Umwelt, Arbeitssicherheit und Energie integriert sind, ist so gut wie jeder Unternehmensbereich involviert. Entsprechend professioneller wird der Umgang mit den Systemen. Das bedeutet weniger Fehler, die Arbeit geht schneller von der Hand.

Machen sich Unternehmen die Mühe, die Kosten und Ergebnisbeiträge des IMS monetär zu bewerten?

Kallmeyer: Selten. Die Aufwendungen für den Unterhalt der Managementsysteme werden unzureichend erfasst. Noch schlechter sieht es mit dem Nachweis der Einsparungen aus. Was gewinne ich durch das Vermeiden einer Reklamation oder welchen Ertrag bringt mir mein Abfallbeauftragter? Controlling-Systeme stoßen da an Grenzen. Die Frage ob sich ein IMS rechnet und wieviel es kosten darf, verliert allerdings an Bedeutung, wenn Markt oder Kunden ein System fordern und ohne Zertifikate Marktnachteile entstehen.